_______________________

 

Webmaster u.v.a.m.

Elmar Traks

Elmar Traks

Bandelow, Borwin – Wer hat Angst vorm bösen Mann? Warum uns Täter faszinieren (2013)

Prof. Dr. Dr. Borwin Bandelow ist ein international renommierter Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Diplompsychologe und Psychotherapeut. Mit diesem Buch möchte er  darlegen, warum Verbrecher auf viele, auch durchaus intelligente Menschen eine immens große Faszination ausüben. Warum ist dieses Sympathisieren mit Straftätern rational so wenig nachvollziehbar? Wie ist es zu erklären, dass sich nicht selten Opfer mit ihrem Peiniger verbünden und eine positive Beziehung zu ihm aufbauen? 

Als ein psychologisches Phänomen sei in diesem Zusammenhang vorab schon einmal das „Stockholm-Syndrom“ genannt: Im August 1973 wurde in der schwedischen Hauptstadt eine Bank überfallen, und die Täter hielten mehrere Tage lang 4 Angestellte als Geiseln fest. Diese entwickelten im Laufe der Zeit mehr Angst vor der Polizei als vor den Verbrechern, denen

sie am Ende sogar dankbar waren, dass sie ihnen durch ihr Verhalten gegenüber den Einsatzkräften die Freiheit und Unversehrtheit geschenkt hatten.

 

In einzelnen Kapiteln geht es um

Sexsklaven, die gefangen gehalten und unmenschlich gemartert werden, aber dennoch zahlreiche Möglichkeiten zur Flucht nicht nutzen,

falsche Propheten, wie z.B. Sektenführer, die ihre Anhänger einer gründ- lichen Gehirnwäsche unterziehen und psychologisch gekonnt in ihrem Sinne manipulieren,

apokalyptische Narzissten - Diktatoren, denen vom Volk gehuldigt wird, obwohl sie es ausbeuten und hungern lassen, während sie selbst in Saus und Braus leben,

großmütige Helfer; das sind oft so genannte Todesengel – Kranken- schwestern und Pfleger, die unter dem Deckmäntelchen der Humanität aktive Sterbehilfe leisten. In Wirklichkeit geht es ihnen bei einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung jedoch um die Ausübung von Macht. Dieser Gruppe gehören auch Mütter an, die ihren Kindern aufgrund eines Munchhausen by proxy Syndromes  (=Münchhausen-Stellvertretersyndrom) unbeschreibliches Leid zufügen,

Pseudologia Phantastica, also den Drang zum krankhaften Lügen und Übertreiben, um Aufmerksamkeit zu bekommen („mehr scheinen als sein“).

 

Der Autor bezieht sich hierbei in beispielhaft beschriebenen Fällen u.a. auf die Priklopil-Geisel Natascha Kampusch, die RAF-Terroristen Baader / Meinhof, den als „Heidemörder“ bekannt gewordenen Thomas Holst, den Vergewaltiger und Mörder Frank Schmökel, den hochstaplerischen „Arzt“ Gert Postel, Oslo-Attentäter Anders Behring Breivik, Scientologie-Gründer Ron Hubbard, den belgischen Sexualstraftäter Marc Dutroux und viele andere mehr.

Im Rahmen seiner Recherchen hat Bandelow verschiedene Opfer, Täter

und Zeitzeugen zu Wort kommen lassen.

 

Bandelow erläutert zum einen anhand von Beispielen, wie viele Täter mit seismographischer Sicherheit die Schwachstellen ihrer Mitmenschen er- kennen und es meisterhaft verstehen, sie zu manipulieren, für sich und

ihre Ideen einzunehmen und mental an sich zu binden.

Dabei erklärt er auch Vorgänge im Gehirn „der Bösen“, vor allem die Bedeutung und Wirkungsweise der so genannten Glückshormone im Endogenen Opiatsystem (EOS).

Jedoch auch genetische und soziale Einflüsse sowie in manchen Fällen Hirnbesonderheiten können eine Rolle spielen, wenn jemand zum Täter

wird.

Zum anderen laufen aber auch z. B. bei Geiseln in dieser Extremsituation

im Gehirn plötzlich Vorgänge ab, die es auf „Überlebensmodus“ schalten. Dieses Überleben hat nur der Geiselnehmer in der Hand, der außerdem über Nahrungszufuhr und hygienische Maßnahmen entscheidet; und das Opfer ist ihm für die kleinste positive Zuwendung dankbar. Hier schließt

sich der Kreis zum eingangs bereits erwähnten Stockholm-Syndrom.

 

Bei all dem nimmt Borwin Bandelow immer wieder Bezug auf verschiedene Persönlichkeitsstörungen, wobei er insbesondere auf die folgenden intensiv eingeht, die auch in Kombination auftreten können:

 

Die Narzisstische Persönlichkeitsstörung: Sie tritt bei Menschen auf,

die ein Minderwertigkeitsgefühl nach außen durch ausgesprochen selbst- bewusstes Auftreten kompensieren. Kennzeichnend ist, dass die Betroffenen sich auf der permanenten Suche nach Lob und Bewunderung befinden, sich gerne in Szene setzen und sehr ehrgeizig sind. Sie unterstreichen ihre Sehn- sucht nach „Streicheleinheiten“ durch eine oft sehr charmante Art. Bleiben Bestätigung und Anerkennung durch ihr Gegenüber jedoch aus, werden sie schnell aggressiv, beschuldigen den Ignoranten dann oft des Neides. Im Ge- genzug gehen sie selbst aber nur minimal auf andere ein und können sich kaum in ihre Mitmenschen hineinversetzen. Sie haben ein Gefühl der ei- genen Großartigkeit, überschätzen dabei ihre Fähigkeiten jedoch maßlos. Da sie ihre gesamte Lebensenergie aus der Anerkennung durch ihre Umwelt saugen, ist es verständlich, dass Kritik für ihre Selbsterhaltung Gift ist.

 

Borderline-Persönlichkeiten haben ein nicht gefestigtes Selbstbild.

U.a. dadurch sind sie emotional äußerst instabil, neigen zu Stimmungs- schwankungen, haben ein Gefühl der inneren Leere und drohen oft mit Suizid. Kennzeichnend ist auch eine mangelnde Impulskontrolle.

 

• Bei Menschen mit einer dissozialen (= antisozialen) Persönlichkeitsstörung werden Angst, Scham und Moral im Allgemeinen ausgeklammert. Sie missachten soziale und rechtliche Normen, haben dabei eine niedrige Gewaltschwelle und Frustrationstoleranz und gehen daher mit großer Rücksichtslosigkeit vor. Auch nach einer Tat haben sie meist keiner- lei Schuld- oder Unrechtsbewusstsein.

Resümee: Bei diesem Buch handelt es sich um ein populärwissenschaft- liches Werk, das heißt, ein wissenschaftlicher Themenkomplex wurde für

den interessierten Laien verständlich aufbereitet.

Es hat mich lange beschäftigt, nicht nur, weil man in Bezug auf die Ver- brecher sehr viel über die Merkmale verschiedener Persönlichkeits- störungen, „systemimmanente“ Tatauslöser, deren Folgen und u.v.a.m. erfährt, sondern auch, weil anschaulich und nachvollziehbar dargelegt

wird, was bei den Opfern abläuft.

Ich kann jetzt viel besser verstehen, warum sich auch intelligente Menschen zu einem Straftäter hingezogen fühlen, manche ihn sogar heiraten (wollen), warum übelst malträtierte Opfer zu ihrem Peiniger eine positive Bindung entwickeln und trotz evtl. vorhandener Möglichkeiten nicht fliehen.

Außerdem habe ich etliches über die genannten Persönlichkeitsstörungen gelernt, konnte vieles auf mir bekannte Personen beziehen und habe Hin- weise für den Umgang mit mehr oder weniger stark gestörten Personen erhalten.

Fazit:  Beileibe keine leichte Kost, aber hochinteressant!

Kommentar schreiben

Kommentare: 0