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Elmar Traks

Elmar Traks

Rottler, Patrick / Martin, Leo – Die geheimen Muster der Sprache (2020)

Ein Sprachprofiler verrät, was andere wirklich sagen

 

In diesem Buch geht es um „die verrücktesten Fälle der Sprachprofiler“:

• Ein Hacker dringt ins Computersystem einer Firma ein.

• In „Krümelmonsters Keksklau“ wird der Diebstahl des vergoldeten Leibniz-

Keks-Wahrzeichens der Firma Bahlsen aufgerollt, der sich bereits 2013 ereignete – lange, bevor das „Institut für Forensische Textanalyse“ der Autoren gegründet wurde. Das sog. „Krümelmonster“ schickte damals einen aus Zeitungslettern geklebten Brief an die Firma Bahlsen.

• Eine Frau bekommt von einem Stalker Nachrichten aufs Handy, die an

Intensität zunehmen und bald auch Auswirkungen auf ihre Familie haben.

• In „Unglaubliche Vorhersage“ sieht ein Sprachprofiler einen Fehler des

Täters voraus – hierbei handelt es sich aber nicht um einen der Autoren, sondern um den renommierten forensischen Linguistiker Prof. Dr. Raimund Drommel. Der an der Aufklärung beteiligte Ermittler war der „Ex-Agent“ Leo Martin.

• Eine verwitwete ältere Dame hat ihren Nachlass durch ein Testament

geregelt. Dennoch erlebt die Familie nach ihrem Tod eine böse Überraschung.

• 2019 werden kurz vor den Wahlen gegen den Mainzer Oberbürgermeister

Ebling in einem anonymen Schreiben schwere Vorwürfe erhoben.

• Ein anderer Bürgermeister bekommt Drohbriefe, in denen sich auch tote

Tiere befinden.

• Ein Schweizer, der im Pharmavertrieb für internationale Konzerne tätig ist,

steht kurz vor dem nächsten Karrieresprung. Da bekommt die Konzernzentrale ein anonymes Schreiben, in dem der Mann u.a. als übergriffiger Sexist bezeichnet wird.

• Die Geschäftsleitung einer Firma steht vor einem entscheidenden Schritt,

als ein Brief von besorgten Mitarbeitern erscheint, die vor einem großen Fehler warnen.

 

Aber es geht in dem Buch nicht nur um Sprachprofiling, sondern auch um Themen zwischenmenschlicher Kommunikation, z.B.: Woran kann man erkennen, ob der Gesprächspartner glaubwürdig ist oder lügt; was verrät Sprache über den Menschen; wie kann man sein Kommunikationsverhalten optimieren?

 

Im Anhang findet man ein Glossar und Tipps zum Weiterlesen.

 

Resümee: Leo Martin (44 – richtiger Name Martin Kaeppel) ist lt. Aussage auf seiner Website Ex-Geheimagent, Kriminalist und Vernehmungsexperte. Heute leitet er das „Institut für Forensische Textanalyse“ in München.

Patrick Rottler (26) hat – so ist es auf der Seite des Instituts zu lesen – Kommunikationswissenschaften studiert und ist Spezialist für Datenanalyse.

 

Davon, dass einer der beiden Linguistik studiert oder eine Ausbildung zum Sprachprofiler gemacht hat, ist auf der Homepage nichts zu lesen; lediglich, dass Rottler „als Sprachprofiler (…) für den Bereich Cybercrime verantwortlich“ ist.

Absolut richtig ist die im Geleitwort von Franz-M. Günther, dem Gründer des Deutschen Spionagemuseums, gemachte Aussage: „Viele, die heute Sprachwissenschaften studieren, besuchen auch Vorlesungen zum Thema Forensische Linguistik (…) Am Ende bleiben jedoch nur wenige am Ball und machen es zu ihrer Profession.“ (E-Reader, Pos. 122). Falsch ist jedoch das, was folgt: „Patrick Rottler ist am Ball geblieben“:

Nein, er hat Kommunikationswissenschaften studiert, ein Gebiet, das die Vorgänge bei verschiedenen Formen der Kommunikation zum Gegenstand hat; es beinhaltet u.a. die Bereiche Informationsaustausch zwischen einzelnen Personen oder via (Massen-) Medien, PR und Marketing sowie Kommunikationsdesign.

Eine Qualifikation zum Sprachprofiler erlangt man demgegenüber – wie von F.-M. Günther angedeutet – idealerweise über ein Linguistik- oder Germanistikstudium und die Spezialisierung auf diesem Teilgebiet. Die Ausübung der komplexen Tätigkeit setzt nämlich Fachwissen in Morphologie, Pragmatik, Semantik, Grammatik und Syntax voraus sowie in Fehler-, Sozio- und Textlinguistik.

 

Wenn ich den Untertitel des Buches lese („EIN Sprachprofiler verrät ...“ - Hervorhebung von mir), dann frage ich mich natürlich, wer des Autorenduos damit gemeint ist – denn ZWEI sind hier einer zu viel. Auf Basis des oben Geschriebenen gehe ich davon aus, dass Patrick Rottler damit gemeint ist. Das Pseudonym Leo Martin macht sich wegen seines Bekanntheitsgrades natürlich gut.

 

Warum dieser lange Einstieg in das Resümee? Nun, als Basis für das Folgende macht er vieles offenkundiger.

Zunächst wird der Leser durch direkte Ansprache mit ins Boot geholt und motiviert: „Wenn Sie Lust haben, gemeinsam mit uns anonyme Täter zu überführen; wenn Sie den geheimen Mustern der Sprache auf die Spur kommen wollen; wenn Sie neben unseren Ermittlungen Ihre ganz persönliche Mission Menschenkenntnis starten wollen, dann haben Sie sich für den genau richtigen Lesestoff entschieden.“ (Pos. 191). „Ich wünsche Ihnen viel Spaß auf Ihrer Mission Menschenkenntnis – und vor allem viel Erfolg bei Ihren Ermittlungen.“ (Pos. 201)

 

Eine gewisse Polemik sorgt anschließend im 1. Fall („Sprachprofiler überführt Hacker“) dafür, dass der Leser „angefixt“ wird und am Ball bleibt, wenn von einem „Dr. Judas“ die Rede ist, der in der Kanzlei „Dreistmund“ arbeitet und ein „Formatierungsfetischist“ ist (Pos. 209 ff.). Und wer ist für den Systemcrash verantwortlich? Richtig: natürlich eine junge Mitarbeiterin!

 

Im Folgenden werden dann Selbstverständlichkeiten genannt, wie z.B.:

• „Bei komplexen Fällen stehen wir im ständigen Austausch mit unseren

Auftraggebern. Teilen jede neue, möglicherweise wichtige Erkenntnis mit und stimmen den weiteren Verlauf unserer Ermittlungen und Analysen ab.“ (Pos 325) – So soll es sein – unnötig zu erwähnen.

• Auf Pos. 483 wird die vergleichende Textanalyse als Methode der

Autorenbestimmung beschrieben und abschließend herausgestellt:

„Das ist die Hauptaufgabe der Sprachprofiler am Institut für forensische Textanalyse.“ Wer sich mit forensischer Linguistik (ein oft benutztes anderes Wort für Sprachprofiling) nur ein klein wenig auskennt, weiß, dass dies eine der Basismethoden zur Täterermittlung ist – und keine Spezialität von Rottler/Martin, wie suggeriert wird.

• „Wir untersuchen aber jeden Text auf mehreren Ebenen.“ (Pos. 513) –

Selbstverständlich! Das erfordert die Sorgfalt!

• „Bei unserer Analyse wird dann jeder Befund ausführlich dokumentiert,

erklärt und so nachvollziehbar gemacht.“ (Pos. 534) – Auch dies eine Selbstverständlichkeit gegenüber dem (zahlenden) Auftraggeber.

• Überhaupt strotzt das erste Fünftel des Buches von „wir“/ „uns, unser...“-

permanent stellen die Autoren sich, und nicht die Sache in den Mittelpunkt, wie auch schon an einigen der vorangegangenen Beispiele deutlich wurde:

Pos. 157: „Unser Job ist es ...“ - nicht etwa: Aufgabe des Sprachprofilings

ist es …

Pos. 180: „Für uns Sprachprofiler ist Sprache in erster Linie Identität.“ -

statt: Sprache ist ein Identitätsmerkmal.

Pos.534: „(...) erheben wir einen Befund. Wir beschreiben den Text. (…)

Wir sezieren jedes Detail (…) So schlüsseln wir Sprachmuster auf“. -

Die Autoren erwecken den Anschein, als ob nur sie so vorgehen.

Dabei macht das Genannte das Wesen des Sprachprofilings aus.

 

Solcherart ist die erste Hälfte des Buches eine einzige Dauerwerbung für das „Institut für Forensische Textanalyse“, das zum ersten Mal bereits auf dem Cover, dann fortlaufend im Test erwähnt und dem Leser so quasi eingehämmert wird.

Alle Fälle sind sehr lebhaft geschildert; bei dem großen Unterhaltungswert mag es einigen Lesern gar nicht auffallen, dass eine genauere Analyse der mit den Ereignissen zusammenhängenden Texte in den Hintergrund tritt. Sie bleibt stets sehr oberflächlich und meist auf das beschränkt, was zumindest für den interessierten und mitdenkenden Leser ohnehin offensichtlich ist.

Hinzukommt noch, dass Erkenntnisse oft nicht anhand konkreter Analyse-Methoden begründet werden: „Eher ein Mann als eine Frau. Eher im Alter zwischen vierzig und fünfundfünfzig Jahren als deutlich jünger oder älter.“ (Pos. 336) – Da wüsste der interessierte Leser doch gerne, wie der „Sprachprofiler“ darauf kommt.

 

Wo Methoden genannt werden, fehlt der Hinweis auf die geistige Urheber-schaft, z. B. mittels Fußnote. Ein Literaturverzeichnis fehlt, die Autoren geben am Schluss lediglich „Tipps zum Weiterlesen“. Dabei hätte auf mindestens 2 Namen auf keinen Fall verzichtet werden dürfen: Prof. Dr. Raimund Drommel, der vielfach als Deutschlands bester Sprachprofiler genannt wird und sich als solcher in den letzten ca. 35 Jahren einen Namen z.B. bei Gerichten, Landeskriminalämtern und Unternehmen gemacht hat. - Dr. Eilika Fobbe ist ebenfalls eine verdiente, angesehene Sprachprofilerin, deren Konzepte man in diesem Buch wiederfindet.

Da Rottler / Martin sich auch auf das Know-how dieser 2 Personen beziehen, deren Erwähnung aber gänzlich fehlt, wage ich von Diebstahl fremden Gedankenguts zu sprechen. Die Autoren suggerieren durch ihre Unterlassung den Eindruck, als sei ein Großteil des Fachwissen ihr eigenes geistiges Produkt.

Der Gipfel ist Rottlers abschließende Aussage zu dem Fall „Unglaubliche Vorhersage“: „Der Ermittler und Ex-Agent war Leo Martin, mein heutiger Chef. Damals kannte ich ihn nur aus dem Fernsehen. Genau wie den Professor, der damals das linguistische Gutachten gemacht hat.“ (Pos. 1842). Dieser – es handelt sich um Prof. Drommel – wird namentlich nicht genannt. Warum nicht? Darüber lässt sich trefflich spekulieren.

 

Macht ca. die erste Hälfte des Buches den Eindruck einer überdimensio-nierten Werbebroschüre für das „Institut für Forensische Textanalyse“, so befasst sich die 2. Hälfte mit allgemeinen Kommunikationsmechanismen:

Kapitel 3 z.B. nennt „Psychologische Fallen bei der Bewertung von Informationen“ und schildert auch, wie Wahrnehmungslücken im Rahmen

der Beobachtung von Ereignissen gefüllt werden.

Kapitel 4 beschreibt verschiedene Persönlichkeitstypen und deren Kommunikationsstil.

Kapitel 5 gibt Hinweise darauf, „Wie Sie Lüge und Wahrheit unterscheiden können“.

Kapitel 6 nennt Regeln, „Wie uns Kommunikation noch besser gelingt.“

 

Auch das alles wird, wie schon der 1. Teil des Buches vollmundig beschrieben, bevor eine Zusammenfassung gegeben wird, die vollkommen ausgereicht hätte. 

 

Als Fazit sei aus einem Rezensionstext zitiert, der über die eingangs

erwähnte Kanzlei Dreistmund verfasst wurde:

„ (…) Konzepte von anderen kopiert, die er bis heute als seine eigenen verkauft. Heiße Luft und sehr viel Show (...)“ (Pos. 293).

 

Einerseits machen die Autoren vor allem in der ersten Hälfte des Buches Dauerwerbung für ihre Firma, andererseits vermitteln sie das Gefühl, dass die Materie ganz einfach von jedermann zu erlernen ist (siehe Zitate) – möglicherweise ist das aus ihrer Sicht aber gar kein Widerspruch.

Dennoch: Sprachprofiling / Forensische Linguistik ist eine hoch komplexe und anspruchsvolle Arbeit (!) und kein Hobby für Möchtegern-Detektive.

 

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Kommentare: 1
  • #1

    A.T. (Sonntag, 09 August 2020 09:18)

    Wer sich für die Tätigkeit und Methoden des Sprachprofilings interessiert, dem seien zwei Bücher von Raimund Drommel ans Herz gelegt:

    - Der Code des Bösen
    - Sprachprofiling - Grundlagen und Fallanalysen zur Forensischen Linguistik

    Beide sind in diesem Bücher-Blog rezensiert.