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Elmar Traks

Elmar Traks

Balci, Güner – ArabQueen (2010)

… oder der Geschmack der Freiheit

 

Die türkisch-kurdisch stämmige Journalistin, Fernsehredakteurin und Schriftstellerin Güner Yasemin Balci ist im Berliner Problem-bezirk Neukölln aufgewachsen. Dort arbeitete sie jahrelang in einem Mädchentreff, in dem sie auch zwei junge Frauen kennen lernte, die ihr im Laufe der Zeit ihre Geschichte erzählt haben. Diese hat sie später zu dem vorliegenden Roman verarbeitet; die Töchter kurdischer, streng muslim-ischer Eltern sind in dem Buch Schwestern, die die Autorin Mariam (damals 18) und Fatme (damals 16) nennt.

Lebenshungrig, aufgeweckt und intelligent, hätten sie es Balci's Ein-schätzung nach in der deutschen Gesellschaft durchaus zu etwas bringen können. Doch sie müssen sich den strikten Regeln und der rigiden Werte-ordnung einer tradierten religiösen Kultur unterwerfen, in der die Familien-ehre ein  dominierendes Element darstellt. Diese verbietet Mädchen und Frauen jeglichen Kontakt – und sei es auch nur Blickkontakt – mit dem anderen Geschlecht. An Besuche in Freizeiteinrichtungen wie z.B. Schwimm-bäder, Kinos, Discotheken ist dabei ebenso wenig zu denken wie an Spazier-gänge ohne die Aufsicht eines männlichen Familienmitglieds. Sogar die Be-kanntschaft mit weiblichen Deutschen ist verboten – sie werden ausnahms-los als unreine, d.h. ehrlose Schlampen abgestempelt. Zuwiderhandlungen werden im Namen der Familienehre mit brutaler körperlicher Züchtigung, bis hin zum Tod geahndet.

Lediglich der Schulbesuch wird im Rahmen der Schulpflicht notgedrungen geduldet.

Ansonsten besteht der einzige Lebenszweck weiblicher Nachkommen darin, dem mittels Zwangsheirat geehelichten Mann zu Willen zu sein, Kinder zu gebären, den Haushalt zu führen - in diesem Rahmen ist das Verlassen der Wohnung für Einkäufe gestattet - und die gesamte Großfamilie zu unter-stützen. Rechte jedweder Art haben Mädchen und Frauen nicht; ein selbst-bestimmtes Leben führen zu können, ist illusorisch.

 

Fatme und besonders Mariam wollen jedoch mehr, sie möchten ihr Leben genießen, tanzen, ins Schwimmbad, zu McDonalds, ins Theater und Kino gehen, sich mit ihrer deutschen Freundin Lena treffen und sich schick kleiden können.

Und so beginnen sie, ein gefährliches Doppelleben zu führen, in dem sie gelegentlich Ausreden erfinden, um die elterliche Wohnung verlassen zu dürfen – manchmal werden sie dabei von ihrer Tante Hayat unterstützt. Dann ziehen sie irgendwo unterwegs die wenigen modischen Sachen an, die sie sich von ihrem kärglichen Taschengeld gekauft haben, und gönnen sich harmlose Vergnügungen.

Dabei sind sie sich trotz aller Vorsicht immer der Gefahr bewusst, von einem Mitglied der Großfamilie entdeckt und verraten zu werden; sie wissen, dass sie dadurch die Familienehre und somit auch ihr Leben aufs Spiel setzen.

 

Mariam versteht nicht, warum Männer alles dürfen, was den Frauen im Namen des guten Rufs strengstens verboten ist: Die Brüder z.B. gehen ins Kino, in Restaurants und vergnügen sich mit dem anderen Geschlecht – ein Bruder hat sogar eine Freundin, die den religiös-liberalen Aleviten angehört, in einem Kosmetiksalon arbeitet und sich aufreizend modisch kleidet. Der Vater geht regelmäßig fremd und lässt sein Harz IV-Geld in Spielhallen.

 

Die junge Frau träumt von einem Ehemann, der ihr ein Partner ist, mit dem sie sich ein gemeinsames Leben aufbauen kann, der ihr erlaubt, einen Beruf zu ergreifen, sich schick zu kleiden und gelegentlich auszugehen. Doch es soll anders kommen: Eines Tages wird der Vater von einem „wohlmeinen-den“ Bekannten darüber informiert, dass seine Älteste aus dem Auto eines jungen Mannes gestiegen ist. Nachdem er sie mit dem Gürtel grün und blau geprügelt hat, bekommt sie Hausarrest, bis ihr Cousin eingetroffen ist, mit dem sie nun möglichst schnell zwangsverheiratet  werden soll.

Mariam sieht sich vor eine schwere Entscheidung gestellt: Soll sie die Ehe mit dem ungeliebten Mann eingehen und einer tristen Zukunft entgegen-blicken oder soll sie flüchten, d.h. ihre Familie für immer verlassen und irgendwo ein selbstbestimmtes Leben beginnen?

 

Resümee: Dies ist ein eindrucksvolles Buch mit einer authentischen Lebensgeschichte. Fatmes und Mariams Situation hat mich erschüttert, die Doppelbödigkeit in der Anwendung der religiösen Normen bei Männern und Frauen macht mich wütend. Dass das Ausleben einer Religion mit ihren tradierten und zum Teil inhumanen und unzeitgemäßen Direktiven über das Akzeptieren sozialer Normen und staatlicher Richtlinien des Landes, in dem jemand freiwillig lebt, gestellt werden darf, empfinde ich als Unding. Meines Erachtens haben Gesetze und die staatliche Ordnung für alle Mitbürger gleichermaßen zu gelten; die Berufung auf Religionsfreiheit muss dem untergeordnet werden.

„ArabQueen“ und „Arabboy“ von Güner Balci sowie „Neukölln ist überall“ von Heinz Buschkowsky geben – auch wenn alle drei in Neukölln angesiedelt sind - einen umfassenden Eindruck zu den Themen „Migration“ und  „Integration“ im weitesten Sinne. Obwohl ich sicher durch meine beruf-liche Tätigkeit diesbezüglich schon einiges erfahren und erlebt habe, ist mein Blickwinkel durch die Lektüre noch um einiges erweitert und das Problem-bewusstsein geschärft worden.

 

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