Martha Landeck, die Ex- und Bald-wieder-Freundin von Kommissar Beckmann, findet zusammen mit zwei Freundinnen den dubiosen Journalisten Henry Broderich tot auf einer Bank hinter dem Caddyraum des Golfclubs Isernhagen – erdrosselt und mit einem Golfball im Rachen.
HB, wie er kurz genannt wird, betrieb diverse manipulative Internet-Portale und hatte vom Besitzer des Golfclubs kürzlich eine 5-stellige Summe er-halten, um dessen Interessen im Netz gezielt zu platzieren und negative Kommentare zu löschen.
Aber auch zu Freiherr zu Wörstein unterhielt Broderich „geschäftliche“ Kontakte – dieser hat kürzlich ein altes Landschulheim bei Hannover in seinen Besitz gebracht, um es zu einem Schulungszentrum für die rechts-radikale Partei „Aufrechte Deutsche“ umzubauen. Dagegen bereiten Gegner eine Mahnwache vor, und der 18-jährige Felix macht sich auf, um das Ge-lände auszukundschaften. Er kehrt jedoch nicht von diesem Ausflug zurück, und auch der Mordfall gewinnt an Brisanz, sodass Kommissar Beckmann mit der Leitung einer Sonderkommission beauftragt wird.
Nicht nur, weil sie beim Leichenfund am Golfplatz anwesend war, sondern auch, weil ihr vor ein paar Tagen jemand Interview-Aufzeichnungen einer gewissen Clara Rosenthal aus dem Jahr 1952 zugespielt hat, nehmen Beck-mann und Martha wieder Kontakt auf. Es dreht sich bei den Notizen um die realen Ereignisse des 8. April 1945, die als „Massaker von Celle“ in die Ge-schichte eingegangen sind:
An diesem Tag erreichte ein Eisenbahn-Räumungstransport nach Bergen-Belsen mit ca. 4000 KZ-Häftlingen und Mitgliedern der Totenkopf-SS als Bewacher Celle. Ein schwerer Bombenangriff verhinderte jedoch die Weiter-fahrt – unzählige SS-Leute und Häftlinge kamen ums Leben, die über-lebenden Gefangenen versuchten zu fliehen. SS, Polizei, Privatpersonen, sogar Kinder und Jugendliche jagten die Flüchtenden und erschossen sie wie Hasen. Daher ist dieses Ereignis auch unter dem zynischen Namen „Celler Hasenjagd“ bekannt - belegt ist eine Zahl von 170 Toten.
Es stellt sich heraus, dass der Journalist Broderich Clara Rosenthals Aufzeichnungen unbedingt in seinen Besitz bringen wollte.
Die gesamte Handlung des Buches besteht aus 3 Strängen:
Gegenwartsbezogen geht es um das fiktive Geschehen rund um den Mord an Henry Broderich, parallel dazu um Vorkommnisse innerhalb der ebenfalls fiktiven rechtsradikalen Gruppierung „Aufrechte Deutsche“ des Freiherrn zu Wörstein sowie Felix' Verschwinden.
Der dritte Strang betrifft die realen Ereignisse der Vergangenheit, nämlich das historisch belegte „Massaker von Celle“.
Im Verlauf der Handlung werden diese 3 Ebenen – und somit auch Fiktion und Wirklichkeit, Gegenwart und Vergangenheit – immer stärker unauflöslich miteinander verwoben.
Resümee: Cornelia Kuhnert hat mit diesem Buch ein wahres Meisterwerk geschaffen:
Es gelingt ihr, Motive und Gedankengut einer heutigen rechtsradikalen Szene mit den Ereignissen der letzten Phase des 2.Weltkriegs zu verknüpfen. Geschickt – d.h. ohne dass es konstruiert wirkt – zieht sie Parallelen zwischen gesicherten historischen Fakten und fiktiven aktuellen Ereignissen. Auf diese Weise gelingt es ihr, den Leser für rechtsradikales Gedankengut und Mechanismen der Szene zu sensibilisieren, ohne belehrend zu wirken.
Ich muss gestehen, dass es mir zunächst ähnlich wie der Protagonistin Martha ging, als sie Clara Rosenthals Aufzeichnungen in Händen hielt. Skeptisch fragte ich mich ebenfalls: Warum schon wieder dieses Thema?
Es ist doch schon so unendlich viel über die Ereignisse des 2. Weltkriegs geschrieben worden. Was kann es da noch Neues geben? Aber abgesehen davon, dass ich von der „Celler Hasenjagd“ noch nie etwas gehört hatte, hat mich die lebendige, anschauliche Darstellung immer mehr in den Bann ge-zogen. Auch deshalb, weil die kurzen eingeschobenen Episoden im Stil eines Interviews gehalten sind und der Gegenwartsbezug zur Krimihandlung immer wieder in sich schlüssig hergestellt wird.
Ein spannender Krimi mit historischem Bezug!
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A.T. (Donnerstag, 03 Januar 2013 17:20)
Die Autorin hat einen Gruß ins Gästebuch geschrieben (#34)