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Elmar Traks

Elmar Traks

Saimeh, Nahlah – Jeder kann zum Mörder werden (2012)

Wahre Fälle einer forensischen Psychiaterin

 

Als forensische Psychiaterin begutachtet Nahlah Saimeh Straftäter mit dem Ziel, deren Schuldfähigkeit zum Zeitpunkt

der Tat festzustellen. Lag und liegt eine Persönlichkeits- oder psychische Störung oder eine Intelligenzminderung vor? Soll der Täter nach Haft-verbüßung in eine Therapie und welche Form ist die geeignete?

Die Autorin stellt 9 Fälle aus ihrer Berufspraxis vor, die, wie sie selbst sagt, relativ unspektakulär sind, und deutlich machen, dass jeder Mensch zum Mörder werden kann.

Weiter unten beschreibe ich die einzelnen Fälle. Zwar habe ich mich dabei auf das Allerwesentlichste beschränkt; um aber der hervorragenden Arbeit Nahlah Saimeh's gerecht zu werden, konnte ich sie auch nicht in 2 -3 Sätzen abhandeln – das hätte ein falsches Bild gegeben. Daher erscheint der Übersichtlichkeit halber diesmal bereits an dieser Stelle das

 

Resümee: Dieses Buch stellt das komplette positive Gegenstück zu dem am 27.12.2012 rezensierten, unsäglichen Buch „Mord“ von Hans-Ludwig Kröber dar. Es beginnt schon damit, dass Nahlah Saimeh wohltuend auf einen reißerischen Titel verzichtet; stattdessen erfüllt sie die durch Titel und Untertitel geweckte Erwartungshaltung voll und ganz:

Anhand von 9 Fällen aus ihrer Praxis erklärt sie schlüssig, warum der jeweilige Täter zum Mörder werden konnte. Dabei geht sie im klassischen „Dreisatz“ vor:

- kurze Beschreibung der aktuellen Tat,

- Analyse seiner persönlichen Entwicklung und

   Lebensumstände bis zum Tatzeitpunkt,

- Auswertung insbesondere im Hinblick auf die Schuldfähigkeit.

Dies alles erfolgt geradlinig, ohne große Schnörkel und epische Längen. Es wird erschreckend nachvollziehbar, dass wirklich in jedem Menschen das Potenzial steckt, eine Grenze zu überschreiten und einen Mord zu begehen, denn

„Die Taten zeigen uns, zu welchen Fehlhandlungen und Fehl-entschlüssen der Mensch grundsätzlich in der Lage ist, wie

brüchig im Einzelfall das Normen- und Wertesystem ist, mit

dem wir durchs Leben gehen“ (e-Reader, Position 1761).

Und genau das ist mir beim Lesen ganz klar geworden:

Zwar ist jeder Erwachsene für sein Tun und Denken selbst verantwortlich, kann beides normalerweise steuern. Unter bestimmten Konstellationen – von denen die Autorin ein paar aufzeigt - aber kann eine Schwelle überschritten werden, und jemand, der aus grundsoliden Verhältnissen kommt und bis zur Tat polizeilich völlig unauffällig blieb, begeht ein Verbrechen.  

So gibt es Menschen, die, bevor sie ein Verbrechen begehen, schon selbst Opfer wurden. Das ist z.B. der Fall, wenn sie schicksalhaft psychisch er-krankt sind, etwa an einer Stoffwechselstörung im Gehirn, oder wenn sich ihre Persönlichkeit auf Grund diverser ungünstiger Umstände fehlentwickelt.

Außerdem liefert die Autorin zahlreiche interessante HintergrundInforma-tionen zu den verschiedensten Themen – alles für den Laien verständlich aufbereitet und nicht ein bisschen langweilig.

Es wird in jedem einzelnen Fall auch die Verantwortung der forensischen Psychiatrie deutlich, wenn es darum geht, die Schuldfähigkeit eines straffällig Gewordenen dahingehend festzustellen, ob

- eine Persönlichkeitsstörung,

- eine psychische Störung oder

- eine verminderte Intelligenz vorliegt.

Die Diagnose hat nämlich nicht nur Einfluss auf das Strafmaß, sondern ist jeweils an die Entscheidung gekoppelt, ob eine Therapie erforderlich ist und wenn ja, in welcher Form. Berücksichtigt werden muss dabei zum Wohl der Allgemeinheit auch immer das von ihm ausgehende Gefährdungspotenzial.

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Nun zu den einzelnen Fällen

(das aktuelle Tatgeschehen habe ich jeweils im Präsens,

die Lebensgeschichte in der Vergangenheit geschrieben):

 

Schwarze Phantasien

 

Georg Tamm tötet seine Frau nach 19 Ehejahren, indem er zunächst eine hohe Dosis Beruhigungsmittel unter ihr Essen mischt und sie dann, als sie fest schläft, erstickt. Anschließend verbrennt er ihre Leiche. Als Motiv gibt er an, dass seine Frau an Multipler Sklerose erkrankt war und die Vorstellung, sie würde zum Pflegefall werden, bei ihm Ekel und Widerwillen ausgelöst habe. Angesichts der bevorstehenden Überforderung sei er schwer depressiv geworden. Außerdem sei die Ehe ohnehin nur noch durch Gewohnheit zusammengehalten worden. Andere Möglichkeiten der Trennung habe er zwar gegeneinander abgewogen, aber verworfen.

Die forensische Psychiaterin stellt in langen Gesprächen jedoch fest,

dass bei Georg Tamm die typischen Merkmale einer durch Depressionen gesteuerten Tat nicht vorliegen, auch, weil er den Mord langfristig und gezielt in kleinen Schritten vorbereitet hat. Auf Grund seines Charak-ters und seiner Intelligenz hätte er außerdem durchaus die Möglichkeit gehabt, seine private Situation in den Griff zu bekommen, zumal sich die Erkrankung seiner Frau noch in einem frühen Stadium befand. Er ist voll schuldfähig.

 

Der Uhrenliebhaber

 

Als Mitarbeiter eines Pflegedienstes hatte Bernd Zietenbach einst kurzzeitig Bertha Cückelmann betreut. Jetzt hat er sich unter einem Vorwand bei ihr Einlass verschafft, sie bewusstlos gemacht und 1000 DM geraubt. Bei der Vernehmung gesteht er, innerhalb der letzten fünf Monate bei drei hoch betagten Männern auf die gleiche Weise vorgegangen zu sein –  im Ge-gensatz zu Bertha Cückelmann überlebten sie jedoch nicht. Die Taten wurden allerdings auf Grund des hohen Alters der Opfer nicht als Tötungs-delikt erkannt, zumal Bernd Zietenbach sie im Bett in eine natürliche Position gebracht hatte.

Sein Motiv war Habgier: Er wollte mit dem geraubten Geld seinen gehobenen Lebensstandard und besonders sein Hobby – das Sammeln von Uhren – finanzieren.

Die forensische Psychiaterin stellt fest, dass der oft überheblich und an-maßend auftretende Mann seit frühester Jugend ein extrem großes Geltungs- und Dominanzbedürfnis hat; auffällig sind die Größenphantasien bzgl. seiner beruflichen Karriere, die jedoch jeglicher fachlicher Voraus-setzung entbehren.

Es wird ihm eine narzisstische Persönlichkeitseigenschaft attestiert, die jedoch keine psychische Krankheit oder Störung darstellt, bei der die Fähig-keit zur Steuerung seines Handelns eingeschränkt wäre; somit ist er voll schuldfähig.

 

Totgeschwiegen

 

Die 20-jährige Tanja Grotebaum lebt bei ihrer Mutter und hat nun schon zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit ihr Neugeborenes in Wäsche eingewickelt und im Schrank zur Schmutzwäsche gesteckt; beide Säuglinge sind darauf-hin gestorben.

Nahlah Saimeh versucht herauszufinden, warum weder Tanja Grotebaum noch ihre Mutter etwas von der Schwangerschaft gewusst hatten, warum die junge Frau keine Bindung zu den in ihr wachsenden Lebewesen aufbauen konnte und warum sie überhaupt noch ein zweites Mal schwanger wurde.

Sie stellt fest, dass innerhalb der Familie Probleme schon immer grund-sätzlich totgeschwiegen wurden, um eine heile Fassade aufrechtzuerhalten. Tanja fühlte sich stets abgelehnt, überflüssig, ungeliebt und wertlos – ihre ältere Schwester war das Vorzeigekind. Sie bemerkte die Schwangerschaften bis kurz vor der Geburt nicht, da sie weiterhin Regelblutungen hatte. Dann wollte sie sie nicht wahrhaben, verdrängte jeglichen Gedanken daran nach dem Motto „was nicht sein darf, ist auch nicht“. Mit ihrer Mutter konnte sie nicht reden; diese gibt zu, dass die Geburt der Kinder eine Katastrophe, da Blamage gewesen wäre.

Die Tochter wird von der Gutachterin als Borderline-Persönlichkeit eingestuft, gekennzeichnet von Selbsthass und Neigung zur Selbst-schädigung, da sie in einem äußerst problematischen Familienklima

gelebt und ein total gestörtes Verhältnis zu ihrem Körper entwickelt hat.

Sie ist für ihre Taten vermindert schuldfähig.

 

Im Tode vereint

 

Achim Brix verkraftet es nicht, dass seine Frau sich von ihm trennen will. Deren Eltern finden sie eines Tages tot im Wohnzimmer des ehelichen Hauses, ebenso zwei Abschiedsbriefe, die der Mann an seine Eltern und Schwiegereltern adressiert hat. Er schreibt u.a., „dass es nur ein Leben für uns beide gemeinsam im Himmel gibt“ (e-Reader, Pos. 1118). Kurz darauf wird er auf Bahngleisen aufgegriffen und in die Psychiatrie gebracht.

Handelt es sich bei dem Mord um einen geplanten Mitnahme-Suizid oder um eine Tat im Affekt nach einem Ehestreit?

Die Autorin beschreibt, wie das Weltbild des konservativen Achim Brix von starren Moral-  und Wertvorstellungen bestimmt wird, auch an sich selbst legt er hohe Maßstäbe an. Eine Scheidung passt nicht in sein Lebenskonzept, denn in einer symbiotischen Ehe liegt für ihn der eigentliche Sinn des Lebens. So entwickelte er im Laufe der Zeit ein Besitzdenken, bei dem seine Frau zum Objekt wurde, dessen Verlust er – auch vor dem Hintergrund de-pressiver Symptome – nicht akzeptieren konnte.

Zu einer gewissen Unflexibilität im Denken kommen außerdem noch narzisstische Züge, die sich in Überlegenheitsgefühl und Führungsanspruch ausdrücken; die Anerkennung durch andere ist für sein Selbstwertgefühl von elementarer Bedeutung. Es liegt bei ihm eine krankhafte seelische Störung vor, die schuldmindernd wirkte.

 

Wenn sie tot wäre, ging's mir besser

 

Nachdem Bettina Haveler sich zunächst in gegenseitigem Einvernehmen von ihrem Mann Thomas getrennt hat, stalkt er sie bald darauf trotz Näherungs-verbots, greift sie auch körperlich an und benutzt den gemeinsamen etwa 10-jährigen Sohn, um sie zur Rückkehr zu bewegen. Die Situation eskaliert, als er sich als Paketbote getarnt Zutritt zu ihrer Arbeitsstelle verschafft und sie erschießt. In einem Wellness-Hotel wird er ein paar Stunden nach der Tat festgenommen.

In Gesprächen findet die forensische Psychiaterin heraus, dass Thomas Haveler ein starkes Dominanzbedürfnis hat. In intimen Beziehungen drückt sich dies in einem Besitzanspruch aus, bei dem der Partner jederzeit ver-fügbar zu sein hat. Da verkraftet er es nicht, dass seine Frau trotz all' seiner Bemühungen nicht zu einer Rückkehr bereit ist, er im Gegenteil immer mehr an Einfluss verliert. Sein Lebensentwurf ist vernichtet, er leidet unter der Trennung von Frau und Kind, glaubt, ohne sie nie mehr glücklich zu sein.

Er gibt seiner Frau eine Mitschuld an ihrem Tod, denn sie  erniedrigte und kränkte ihn durch ihre Haltung, und er ist sich sicher, dass es ihm besser ginge, wenn das Objekt der Kränkung beseitigt wäre. Daher plante er lang-fristig ihren Tod.

Thomas Haveler wird eine vorübergehende psychische Störung attestiert, ausgelöst durch eine gravierende Veränderung in seinem

Leben, der er sich nicht anpassen konnte. Er wurde zwar zu lebenslanger Haft verurteilt, eine besondere Schwere der Schuld aber nicht festgestellt.

 

Der war ja nun schon tot

 

Maria Zettler, die im Haus der 77-jährigen Witwers Josef Grafkamp putzt, findet eines Morgens Einbruchspuren an der Haustür, und Josef Grafkamp liegt erdrosselt auf dem Flurboden. Außer seinem Portmonee mit 500 DM und einer Kamelhaardecke fehlt nichts.

Erst gut 1 1/2 Jahre später kann der 29-jährige Ralf Kosselbach als Täter verhaftet werden. Es fällt sofort seine gänzliche Teilnahmslosigkeit auf;

zum Tatgeschehen äußert er sich nur sehr einsilbig.

Diesen Eindruck bestätigt die forensische Psychiaterin schon bald. Nach vielen Gesprächen diagnostiziert sie eine schwere schizoide Persönlich-keitsstörung, verursacht durch eine Kindheit in einem völlig desolaten Elternhaus, die von Vernachlässigung geprägt war und in der Ralf Kosselbach nie gelernt hat, Emotionen wahrzunehmen oder auszudrücken. Die daraus resultierende  schwere Störung in der emotionalen Entwicklung bewirkt, dass ihm menschliche Kontakte auch als Erwachsener völlig gleichgültig sind und er nie Gefühle jedweder Art äußert.

Nach dem Auszug von zu Hause lebte er als Obdachloser, zuletzt in einem maroden Campingwagen. Er hielt sich mit Ladendiebstählen und Einbrüchen über Wasser. Bei Josef Grafkamp geht er davon aus, dass dieser nicht im Haus ist. Als der alte Mann ihn jedoch im Flur überrascht, muss der „Stör-faktor“ zunächst beseitigt werden, bevor Kosselbach sein Vorhaben ungerührt fortsetzt. 

Er bedauert die Tat nicht, da er das Opfer nicht kannte. Da von Ralf Kosselbach auf Grund seiner schweren Störung eine Gefahr für die Allgemeinheit ausgeht, war eine Sicherheitsverwahrung erforderlich.

 

Ich weiß nicht, ob ich noch mal raus will

 

Ins Zimmer der 21-jährigen Krankenschwester Andrea Zinselbach, die in einem Schwesternheim lebt, verschafft sich ein Maskierter Zutritt und vergewaltigt die junge Frau. Drei Wochen später widerfährt der Lehrerin Hiltrud Wetering (35) das Gleiche in ihrer Wohnung, ebenso wie danach der 23-jährigen Krankenschwester Lisa Fraukemann. Allen Fällen gemeinsam ist, dass der Täter „nur“ so viel Gewalt anwendet, wie zur Kontrolle über seine Opfer notwendig ist und dass er verlangt, dass sie während der Vergewaltigung stöhnen.

Bei der forensisch-psychiatrischen Begutachtung stellt sich u.a. heraus, dass der Täter Benno Hakke (24) aus einem Elternhaus stammt, das von Lieb-losigkeit, Alkoholkonsum, Regellosigkeit, Straf-Willkür und Gewalt geprägt war. Mutter und Schwester wurden vom Vater vergewaltigt, ohne dass die Geschwister beide beschützen konnten. Im Gegenteil: Benno stellte schon vor der Pubertät fest, dass ihn das Zuschauen erregte. Bereits als 10-Jähriger fing er selbst an zu trinken. In einer Gruppe ebenfalls vernach-lässigter Kinder und Jugendlicher wurde er akzeptiert und fühlte sich wohl. Mit ihnen beging er – bevor er später zum Einzeltäter wurde - Wohnungs-einbrüche, wobei es ihn faszinierte, dabei eine heile Welt zu sehen, die er nicht kannte. Besonders interessierte ihn die Privatsphäre von Frauen.

Auch mit Pornografie kam er in Kontakt, hatte mit 13 Jahren zum ersten

Mal Geschlechtsverkehr, seit seinem 15. Lebensjahr Vergewaltigungs-Phantasien, die durch Gewaltpornos stimuliert wurden. Er stellte fest, dass ihn einvernehmlicher Sex langweilt, es ihn nur erregt, wenn er ihn sich gewaltsam nehmen muss.

Gleichzeitig weiß Benno Hakke aber, dass sein Tun falsch und er keinen Deut besser ist als sein Vater, den er verachtet.

Das Gutachten stellt eine sexuelle Präferenzstörung fest; Benno Hakke wird nach Verbüßung einer Freiheitsstrafe in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht.

 

Vergewaltigungsprogramm

 

Carola Fussmann wurde im Alter von 28 Jahren zum ersten Mal psychiatrisch auffällig. Damals erkrankte sie an einer schizophrenen Psychose, nachdem ihr Freund sich von ihr getrennt hatte, weil sie sich seiner Meinung nach zu stark auf ihre beruflichen Ziele und zu wenig auf ihn konzentrierte. Die junge Frau fühlte sich einsam – zu allem Unglück starb kurze Zeit später auch noch ihre Mutter – fing an zu trinken und vernachlässigte sich immer mehr. Sie fühlte sich psychisch und physisch immer schlechter und war sicher, dass die Leute über sie tuschelten und sie verspotteten, die Nachbarn sie durch Löcher in den Wänden beobachteten und sogar ihre Gedanken beein-flussten. Sie flüchtete aus ihrer Wohnung, lebte einige Tage im Freien, bevor sie aufgegriffen und in die Psychiatrie gebracht wurde. Als sie nach der Therapie wieder zu Hause lebte, kehrte zunächst wieder Ordnung in ihr Leben ein, bis die bekannten Symptome verstärkt zurückkehrten. Diesmal verließ sie die Wohnung mit einer Reisetasche und zwei Messern und schloss sich einer Gruppe Obdachloser an. Als sie zunehmend aggressiv und gewalttätig wurde, wurde sie wieder eine Zeit lang in der Psychiatrie therapiert, bevor sie ihr Obdachlosen-Leben fortsetzte, wieder gewalttätig wurde und diesmal etliche Monate behandelt werden musste; ihr wurde auch ein gesetzlicher Betreuer zur Seite gestellt. - Die Verfahren wegen Körper-verletzung wurden stets eingestellt, ihre Aggressionsbereitschaft nicht allzu ernst genommen.

Nach ihrer Entlassung zieht sie um und wird die Flurnachbarin des Infor-matik-Studenten Manuel Fechter. Bald ist sie – inzwischen knapp 50-jährig - davon überzeugt, dass er ihr Viren und feindliche Programme durch die Wand sendet, die ihr Denken fremdbestimmen. Er habe auch extra ein Vergewaltigungsprogramm installiert, mit dem er in ihre Wohnung eindringe und ihr sexuelle Gewalt antue. Da er all' ihre Warnungen ignoriert, weiß sie sich nicht anders zu helfen, als eines Abends gewaltsam und mit einem Küchenmesser bewaffnet in seine Wohnung einzudringen und ihn mit 8 Stichen zu töten.

Carola Fussmann leidet an einer chronischen psychischen Erkrankung:

Die Bedrohung durch die Nachbarn war für sie völlig real, sie war wahnhaft davon überzeugt, in einem feindlichen Umfeld zu leben und litt immens darunter, dass sie sich nicht anders als mit Gewalt dagegen zu wehren wusste. - Sie ist nicht schuldfähig.

 

Strafe muss sein

 

Kurz nach Beginn seines Jura-Studiums veränderte sich der bislang völlig „normale“ Hajo Schnittge: Er machte mit seiner Freundin Schluss, wurde wortkarg, reagierte gereizt, blieb morgens lange im Bett, gab seinen Sport auf und lachte manchmal unmotiviert los. Seinen Eltern gegenüber wirkte er ungewohnt distanziert, menschliche Nähe schien ihn generell zu belasten. Seine Wohnung verdunkelte er auch tags, brachte an der Duschstange und den Fenstern Alufolie an und griff seine Mutter an, als sie bei ihm Ordnung schaffen wollte.

Es stellte sich heraus, dass er wahnhaft davon überzeugt war, dass die Freundlichkeit der Eltern ihm gegenüber nur gespielt war, sie ihn nämlich

seit seiner Kindheit umbringen wollten. Zu diesem Zweck vergifteten sie angeblich nicht nur sein Essen, sondern richteten auch Radioaktiv-Generatoren auf seine Wohnung. Die Eltern sorgten für die Einlieferung in eine psychiatrische Klinik, wo er wegen einer Psychose behandelt wurde. Dass seine Symptome sich besserten, führte er darauf zurück, dass er dort vor den schädlichen elterlichen Einflüssen geschützt war.

Da er nicht glaubt, dass er krank ist, setzt er nach seiner Entlassung die Medikamente ab, mit der Folge, dass die psychischen und physischen Symptome sich verstärken und er überzeugt ist, sterben zu müssen.

Als einzigen Ausweg sieht er den Tod der Eltern und plant deren Ermordung getrennt voneinander. Zuerst soll die Mutter sterben: Er lädt sie zu sich nach Hause ein und richtet sie dort mit unendlich vielen Messerstichen regelrecht hin. Als er blutverschmiert bei seinem Vater im Elternhaus erscheint, gelingt dem Vater die Flucht zu Nachbarn, die die Polizei verständigen.

Reue empfindet Hajo Schnittge nicht, im Gegenteil – er ärgert sich, dass er nicht, wie ursprünglich geplant, auch noch den Vater töten konnte.

Er gehört zu der Gruppe von Tätern, die durch eine Stoffwechselstörung im Gehirn schicksalhaft erkranken: Er leidet an einer schweren schizophrenen Psychose, bei der er nicht in der Lage ist, seine Wahnvorstellungen mit der Realität abzugleichen und ggf. zu korrigieren. Bei diesem Befund ist er schuldunfähig.

 

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Kommentare: 3
  • #1

    Inge Mö. (Mittwoch, 16 Januar 2013 11:59)

    Das m u s s ich lesen, liebe Annette!!!
    Meine Hochachtung gilt auch Dir und Elmar für diese Fleißarbeit zu einem außerordentlich interessanten Thema, dass Du bestens kurzbeschrieben hast. LG. Inge

  • #2

    A.T. (Dienstag, 22 Januar 2013 08:19)

    Eine Nachricht der Autorin steht im Gästebuch
    (# 35).

  • #3

    Fritz Wagner, Ulm (Donnerstag, 27 Juni 2013 10:33)

    Ein tolles Buch, eine hervorragende Rezension!