Cádiz während der Semana Santa, der Karwoche* – die Stadt gleicht einem Hexenkessel, denn täglich sind riesige Menschen- massen auf den Beinen, um die zahlreichen Oster-Prozessionen zu verfolgen. Die Polizei hat alle Hände voll zu tun, damit die Stadt nicht komplett im Chaos versinkt.
Ausgerechnet jetzt werden in einer Mietwohnung im Haus der greisen Caterina Lucena die Leichen der Brüder Pedro und Juan Angel gefunden – auf dem Bett nach dem Vorbild eines alten Gemäldes drapiert.
Die beiden Männer wurden vor 34 Jahren in Barcelona als siamesische Zwillinge geboren – an den Hüften zusammengewachsen und im Alter von knapp zwei Jahren getrennt. In schwierigen familiären Verhältnissen auf- gewachsen, verbrachten sie ihr Leben als Strichjungen, Drogendealer, Diebe und zwielichtige Künstler. Als Millionäre lebten sie schließlich ab- wechselnd an der Riviera, in New York und in Spanien; es scheint, als
hätte ihr Dasein zuletzt nur noch aus Partys bestanden.
Ist hier das Motiv für die grausame Tat zu suchen?
Und welche Rolle spielt ihre Vermieterin Caterina Lucena? Sagt sie wirklich die Wahrheit? Sie entstammt einer alten Familie, deren Wurzeln bis weit in die Zeit der Reconquista zurückreichen. Im spanischen Bürgerkrieg (1936 -1939) wurde die Familie von Falangisten – Angehörigen einer faschisti-schen, Franco unterstützenden Bewegung – in ein Gefangenenlager ver- schleppt und grausam hingerichtet. Caterina, damals 14 Jahre alt, überlebte als Einzige.
Als es einen weiteren Toten gibt, nämlich den Generalsekretär der „Bruder- schaft vom Blut Christi“, fällt sofort die Parallele zum Mord an den Angel-Brüdern auf. Denn die Vorgehensweise erinnert in beiden Fällen im Großen und Ganzen an die bei einem Stierkampf:
Der Täter taucht, wie man inzwischen weiß, in einem blutroten Gewand und spitzer Kapuze mit Sehschlitzen auf. Nach Art der den Stier reizenden ban- derilleros sticht er zunächst lange bebänderte Pfeile in die Körper seiner Opfer. Anschließend wird er zum Picador, der die Lanze einsetzt, und schließlich ist er der Matador, der seine Opfer mit einem Degenstoß ins
Herz umbringt.
Die ermittelnden Kommissare finden bald heraus, dass die „Bruderschaft vom Blut Christi“ als einzige der etwa 60 in Cádiz beheimateten „hermanda- des“ blutrote Gewänder trägt. Sie wurde nach Ende des Bürgerkrieges von der Falange gegründet und zählt vor allem Polizisten, Angehörige der Stadt- verwaltung, Politiker und Richter zu ihren Mitgliedern.
Es wird also folgerichtig jemand aus dieser Bruderschaft mit Bezug zum Stierkampf gesucht. Immer wahrscheinlicher wird auch, dass die Morde mit den Greueltaten aus der Zeit des Bürgerkriegs zusammenhängen.
Kann der mittlerweile 82-jährige ehemals angesehene Stierkämpfer Manolo Figuera weiterhelfen, der auch hervorragend über die Franco-Zeit und die Familie Lucena Auskunft geben kann?
Welche Rolle spielt der undurchsichtige Stierkämpfer „El Guapo“, dessen Vater einst ein bedeutender Mann der Stadt, Sekretär der Bruderschaft und Franco-Freund war?
Mitten in den Ermittlungen wird in beschriebener Manier ein Anschlag auf Maria Gutierrez verübt: Sie ist als Professorin für Geisteswissenschaften im Innenministerium tätig, hat zur Zeit aber die Aufgabe, die Effektivität der Polizei zu untersuchen. Zu diesem Zweck begleitet sie diesen aktuellen Fall der Polizei Cádiz; doch ihre eigentliche Arbeit tritt immer mehr in den Hinter- grund. Hat sie den ersten Anschlag dank des rechtzeitigen Erscheinens ihres Kollegen Torillo leicht verletzt überlebt, so gerät sie schließlich Todesgefahr. Und es gibt weitere Opfer, bevor der Fall schließlich eine überraschende Entwicklung nimmt und aufgeklärt wird.
* siehe auch „Ostern in Spanien“ unter „Wissenswertes“ auf dieser Homepage
Resümee: Dies ist ein ausgesprochen fesselnder Roman mit vielen Informationen über die Stadt Cádiz, die Semana Santa, den Stierkampf und Exkursen in Spaniens unrühmliche Vergangenheit. Aber auch dem, den dies alles nicht oder nur am Rande interessiert, bietet das Buch spannendste Unterhaltung: Ich habe es vor gut 10 Jahren zum ersten Mal gelesen und war damals schon von ihm als hervorragendem Krimi begeistert. Nun, mit inzwischen mehr Wissen über Cádiz, Spaniens Geschichte und Traditionen, war die Lektüre zwar vergleichsweise „schwere Kost“, aber nicht minder packend.
Einzig das erste Kapitel fand ich ausgesprochen verwirrend – der Leser sollte sich davon aber nicht abschrecken lassen, denn es klärt sich gleich anschließend alles auf.
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