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Elmar Traks

Elmar Traks

Enders, Giulia – Darm mit Charme (2014)

Alles über ein unterschätztes Organ

 

Im Vergleich zu anderen Organen wurde der Darm von der Wis- senschaft bisher eher stiefmütterlich behandelt. In jüngster Zeit jedoch nehmen die Forschungen auf diesem Gebiet zu und es verdichten sich die Erkenntnisse, dass er Einfluss auf viel mehr Prozesse in unserem Körper hat, als wir bislang vermuteten. Wer hätte z.B. gedacht, dass Über- gewicht, Depressionen und viele Allergien mit einer gestörten Darmflora zusammenhängen können und eine enge Beziehung zwischen Darm und Gehirn besteht? Die Medizin-Doktorandin Giulia Enders erklärt uns das un- terschätzte, aber für unser gesamtes Wohlbefinden doch so wichtige Organ auf sehr amüsante Weise, veranschaulicht durch zahlreiche Skizzen.

Sie erläutert unter anderem die einzelnen Stationen und den Aufbau des gesamten Verdauungstraktes, geht auf die Beteiligung des Darms beim Entstehen von Allergien und Intoleranzen ein, analysiert den Kot im Allge- meinen und Besonderen und erklärt das Nervensystem des Darms. Außer- dem zeigt sie Ursachen für Verstopfung, Blähungen, Durchfall, Aufstoßen, Sodbrennen und Erbrechen auf und beschreibt die jeweiligen Vorgänge im Verdauungsapparat sehr anschaulich-bildhaft quasi in „Slow Motion“. Wer bislang glaubte, zwischen Darm und Gehirn gäbe es keine innige Beziehung, der wird eines Besseren belehrt. Und auch in der weiten Welt der Mikroben findet sich der Leser nach der Lektüre besser zurecht, weiß z.B. mehr über Helicobacter, Salmonellen, Pro-, Prä- und Antibiotika sowie die Bedeutung von Hygiene und Sauberkeit.

Resümee: Ich habe dieses Buch gekauft, weil ich vom Auftritt der Autorin in einer Talkshow so fasziniert war: Erfrischend lebhaft und mit großer Begeis- terung sprach sie über einzelne Passagen ihres Werkes – überhaupt nicht mit verklemmter Scham, sondern mit überaus sympathischem Charme. Ob- wohl ich angesichts der amüsanten Schilderungen oft lachen musste, merkte man der jungen Frau ihr profundes Fachwissen und ihre Mission an, einem bislang verkannten Organ die ihm zustehende Würdigung widerfahren zu lassen.

Die Schriftform kann dem beeindruckenden Liveauftritt gar nicht das Wasser reichen.

Dennoch: Ein hochkomplexes Thema wird dem Leser ausgesprochen an- schaulich und kurzweilig nahe gebracht – in lockerem Sprachstil, bei dem das Fachvokabular auf ein notwendiges Minimum begrenzt wird. Die inte- grierten Skizzen von Jill Enders, der Schwester der Autorin, dienen zusätz- lich der Auflockerung.

Dennoch kann (und darf!) die unkomplizierte, bildhafte Ausdrucksweise nicht darüber hinwegtäuschen, dass man sich auf wissenschaftlichem Terrain be- wegt. Das heißt, man kann die einzelnen Kapitel nicht einfach so herunter- lesen, sondern muss sich schon konzentrieren, und ein gewisses Hinter- grundwissen des Lesers ist bei der Lektüre durchaus von Vorteil.

Etwa ab der Mitte des Buches büßt der Stil allerdings an Heiterkeit ein und wird bis zum Schluss zunehmend wissenschaftlicher, die Illustrationen rarer. Möglicherweise liegt dies daran, dass Giulia Enders auf dem Gebiet der Mikrobiologie für ihre Doktorarbeit forscht und „zu tief“ in dem Thema drin- steckt.

Zum Teil, besonders da, wo es nicht um klare Fakten, sondern um noch nicht gesicherte Erkenntnisse von Studien geht, wird es oft schwammig. Therapie-Hinweise bewegen sich dann in einem Bereich von „Kann-sein, kann-nicht-Sein“ und enden in dem Tipp, am besten selbst herumzuprobieren.

Hilfreich ist dabei aber in jedem Fall, dass man Anregungen bekommt, an die man jedoch kritisch herangehen und stets im Hinterkopf behalten sollte, was die Autorin ihrem Buch voranstellt: Die Ratschläge „bieten […] keinen Ersatz für kompetenten medizinischen Rat.“

 

Kurz: Es ist verdammt schwer, bei einem so hochkomplexen Thema einen lockeren, humorvollen Stil von Anfang bis Ende durchzuhalten – und dabei auch noch wissenschaftlich exakt zu bleiben.

Bei aller - sich zugegebenermaßen auf hohem Niveau bewegenden - Kritik: Respekt für diese Leistung und das Engagement der jungen Autorin, der es eine Herzensangelegenheit ist, den Darm aus seinem Schattendasein zu holen – und das mit viel unverkrampfter Begeisterung und Überzeugung.

 

2012 hat Giulia Enders übrigens mit ihrem Auftritt über dieses Thema den Science-Slam gewonnen. Er ist auf diesem Video festgehalten: 

http://www.youtube.com/watch?v=MFsTSS7aZ5o

 

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