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Elmar Traks

Elmar Traks

Tauschwitz, Marion – Schlägt die Nachtigall am Tag (2010)

Einer jungen Ehefrau wird die Nachricht vom plötzlichen Herztod ihres Mannes überbracht:

Sie ist geschockt und kann es nicht fassen. Ab sofort muss sie das Leben mit den beiden kleinen Söhnen ohne ihn bewältigen, mit ihren Emotionen und der neuen Realität zurechtkommen.

Denn nichts ist mehr so, wie es einmal war:

 Im Trauerjahr passiert vieles zum ersten Mal – seien es der erste Stadt- bummel als Witwe, die erste Geburtstagsfeier der Kinder ohne den Vater,

die erste Reise ohne den Mann …

Immer wieder aber schaut sie zurück und sucht Trost und Halt in Erinne- rungen an die gemeinsame Zeit. Nichts wünscht sie sich sehnlicher, als

den Partner wiederzubekommen, bittet allabendlich um ein Wunder:

Alles soll wieder so sein, wie es einmal war.

 

Nach Ende des Trauerjahres kann die Frau jedoch feststellen, dass sie und die Kinder trotz allen Leids auch Glück gehabt haben: Sie leben wie eine Familie zusammen; die Kleinen sind zwar ernster als ihre Altersgenossen, aber dennoch auch oft fröhlich; auch sie kann manchmal schon wieder la- chen und hat in der Wohnung sogar einige Veränderungen vorgenommen.

Glücklich aber ist sie dennoch nicht und betet nach wie vor jeden Abend, dass ihr geliebter Mann wieder bei ihnen sein möge.

Und dann geschieht eines Nachts das Ungeheuerliche:

Er ist tatsächlich wieder da und besteht darauf: „Ich werde mein Leben ge- nau da wieder aufnehmen, wo ich es vor einem Jahr beendet habe. Alles

soll so sein wie früher. (…) Du wolltest es so.“ (Seite 82).

Doch es hat sich vieles geändert, es gibt mittlerweile eine andere Ordnung, eine andere Realität. Das Rad lässt sich nicht um ein Jahr zurückdrehen. Und der Mann ist nicht mehr der, den die Frau in ihrer Erinnerung wach gehalten hat. Sie erkennt:

Nichts kann mehr so sein, wie es einmal war!

Resümee: Eine inhaltlich und sprachlich beeindruckende Novelle!

Sie macht Mut, eröffnet bei allem Leid Perspektiven und lässt den Leser nachdenklich zurück:

Verlust des geliebten Partners durch Tod – Schock - Fassungslosigkeit – Schmerz - Verzweiflung – Trauer – manchmal gar Wut – irgendwie Bewäl- tigung der neuen Realität - über allem aber immer der Wunsch, der Ver- storbene möge zurückkommen, es solle wieder so werden, wie es (in der Erinnerung) einst war. Schließlich dann aber, wenn das so sehnlich Erhoffte in Erfüllung geht, die schockierende – aber auch befreiende! - Erkenntnis, dass sich die Zeit nicht zurückdrehen lässt, dass man sich aus dem Netz von „Tod und Traum, (…), Wunsch und Wirklichkeit“ befreien und stattdessen

mit „Mut und Hoffnung“ (Klappentext ) dem neuen Leben zuwenden muss.

 

Die Personen haben keine Namen, sondern werden in ihren jeweiligen familiären Rollen genannt, wie z. B. sie / die Witwe, er / der Mann / der Verstorbene, die Kinder / die Söhne / die Kleinen etc.

Dadurch wird die Handlung dem Voyeuristischen enthoben und bekommt eine Allgemeingültigkeit, die es dem Leser auch ermöglicht, seine persön- liche Einstellung in Bezug auf die geschilderten Umstände zu reflektieren.

Vielleicht entspricht diese nicht der der Witwe, sondern ist eher rational wie bei ihrem Schwiegervater oder der Schmerz und die Trauer werden durch Medikamente betäubt, wie die Schwiegermutter es macht? Mancher kann

die Wirklichkeit vielleicht auch nur durch Einhalten von Konventionen oder Errichten eines schützenden Panzers ertragen.

 

Marion Tauschwitz hat sehr sensibel geschrieben – schon Position bezie- hend, aber immer voller Verständnis und keineswegs (ab-)wertend.

 Die Sprache ist poetisch, oft bildhaft, dabei immer klar, schnörkellos und anschaulich.

 

Als Literaturform hat die Autorin die Novelle - oft als „Krisenerzählung“ be- zeichnet - gewählt, die den Gattungsanforderungen absolut gerecht wird:

Thematisiert wird das Ungeheuerliche in Form eines außergewöhnlichen Ereignisses. Dies ist hier der plötzliche Tod des geliebten Ehemannes und später das Wunder seines Wieder-Auftauchens. Letzteres ist gleichzeitig der für die Gattung typische Wendepunkt: Ein schicksalhaftes Ereignis, das oft durch übernatürliche Mächte ausgelöst wird und das Leben der Hauptperson entscheidend verändert.

Die Handlung kommt mit ein paar wenigen Personen aus, der Verlauf ist geradlinig, der Aufbau klar strukturiert – es geht um konkrete Situationen und das Agieren der Protagonisten in ihnen. Den Schluss bilden eine Er- kenntnis und Entscheidung, die das weitere Leben bestimmt - die Krise ist bewältigt.

 

Der Titel des Buches ist übrigens Teil eines Wahrspruchs der Großmutter der Witwe, die sich an ihn erinnert, als die Trauergäste bei der Beerdigung des Mannes das Schluchzen einer Nachtigall hören:

„Schlägt die Nachtigall am Tag, singt ihr Lied von Leid und Klag“ (Seite 43)

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Kommentare: 1
  • #1

    Marion Tauschwitz (Montag, 18 August 2014 10:28)

    Autorin dankt und freut sich über ein Urteil, das auf sicherer Lesekunst basiert und die Intention hinter den Worten liest. So kann eine kluge Rezension geschrieben werden!