Die 17-jährige Alice, ein Mündel des schon älteren Lord Faukes, lebt mit Bridget, ihrem „Mädchen für alles“, auf einem abgeschie-denen Gehöft. Als sie eines Tages Stare beobachtet, sieht sie, wie ein völlig verwahrlostes kleines Mädchen mit letzter Kraft auf das Grundstück wankt und dort zusammenbricht. Sofort kümmert sich Alice liebevoll um die Ohnmächtige, die in der Wärme des Hauses bald wieder zu Bewusstsein kommt. Doch das fremde Mädchen kann weder etwas über seine Herkunft sagen noch scheint es einen Namen zu haben. Daher nennt Alice es nach der Starenschar, die bei seiner Ankunft in den Bäumen saß, kurzerhand Starling. Mit Lord Faukes' Erlaubnis darf die Kleine fortan in dem Haushalt leben.
Im Laufe der Zeit wird sie zur besten Freundin und Vertrauten der rund 10 Jahre älteren Alice, die sie wie eine Schwester ins Herz geschlossen hat.
Als sie und Jonathan Alleyn, der Enkel des Lords, sich gegen alle gesell-schaftlichen Konventionen ernsthaft ineinander verlieben, tut Starling alles, damit Bridget keinen Verdacht schöpft, wenn die Beiden sich heimlich treffen oder im Liebesbaum Botschaften austauschen.
Auch als der junge Mann in den Krieg ziehen muss, reißt der Kontakt der Liebenden nicht ab – sie schreiben sich regelmäßig und Alice wartet sehn-süchtig auf Jonathan's Rückkehr, um ihn dann so schnell wie möglich heiraten zu können.
Doch eines Tages kommt Alice nicht von einem Spaziergang zurück und bleibt verschwunden. Niemand weiß, was geschehen ist. Starling und Bridget haben diesbezüglich sehr unterschiedliche Theorien und besonders erstere leidet unter dem Verlust ebenso wie Jonathan, der schwer traumatisiert aus dem Krieg heimkehrt.
In einer Parallelhandlung erfahren wir vom Leben der 29-jährigen Rachel, die in einem Haushalt als Gouvernante arbeitet. Dort sieht sie der Weinhändler Richard Weekes und verliebt sich sofort in sie. Seinen Heiratsantrag nimmt Rachel an, obwohl sie seine Gefühle nicht erwidert. Aber sie ist zuversichtlich, dass sich dies bei näherem Kennenlernen ändern wird.
Das Paar zieht in den gleichen Ort, in dem auch Jonathan Alleyn und seine Mutter wohnen; Lord Faukes, Jonathan's Großvater, ist inzwischen verstor-ben. Doch der ehemalige Soldat vegetiert nur noch dahin und lebt in seiner eigenen Welt: Grausame Kriegserinnerungen quälen ihn und er wird mit dem ungeklärten Verschwinden seiner geliebten Alice nicht fertig.
Als Starling, die nun im Haushalt der Alleyn's als Dienstmädchen angestellt ist, Rachel das erste Mal sieht, erstarrt sie. Die gleiche erschrockene Reaktion bemerkt die Frau, als sie Jonathan und seiner Mutter vorgestellt wird - sie sieht der verschwundenen Alice zum Verwechseln ähnlich. Das weckt ihr Interesse an Starling's großer „Schwester“; beide Frauen suchen den Kontakt zueinander und stellen Nachforschungen an. Dabei kommen sie ungeheuren Intrigen und menschlichen Abgründen auf die Spur.
Resümee: Der Roman spielt auf zwei Zeitebenen, die kapitelweise wechseln: Auf der einen werden in Rückblenden die Geschehnisse der Jahre 1803 bis 1808 erzählt, auf der anderen die aktuellen der Jahre 1821 bis 1822. Dabei ist sowohl die Handlung, die in der Vergangenheit angesiedelt ist, als auch die der Gegenwart spannend wie ein Krimi und voller Dramatik.
Dreh- und Angelpunkt ist nach Alice's rätselhaftem Verschwinden die Frage, was mit ihr geschehen sein mag. Dabei hat jeder, der die junge Frau kannte, seine eigene begründete Theorie.
Das Agieren verschiedener Personen wird immer wieder aus wechselnden Blickwinkeln betrachtet und interpretiert. Peu à peu fallen immer mehr Puzzle-Teile an ihren Platz, die langsam ein komplexes Bild von Intrigen, Verrat, An-sehen, Macht, aber auch Liebe und Verlust entstehen lassen.
Der Leser fiebert bis zum Ende mit und fragt sich immer wieder, ob das Schicksal der Verschwundenen und – eng damit zusammenhängend – ihre Herkunft je geklärt werden können. Denn nicht nur auf Starling, sondern auch auf Alice trifft der Titel „Das fremde Mädchen“ zu.
Fazit: 640 Seiten, die es in sich haben!
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