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Elmar Traks

Elmar Traks

Schöttke, Henning - Luxurias Glück (2015)

Roman


Luxuria, Jahrgang 1964, wächst als ältestes von 6 Kindern in Hamburg auf.

Die Zeit ist gesellschaftlich und politisch von Krisen und Umbrüchen

geprägt - als ein paar wenige Stichworte seien hier die Friedensbewegung, Anti-Kriegs-Demonstrationen, Hippie-Kultur und RAF genannt. Die äußere Unsicherheit und Unruhe spiegeln sich auch in Luxurias Familie wider, wo sie wenig Schutz und Fürsorge erfährt:  

Die Eltern streiten oft, auch den Kindern gegenüber herrscht ein rüder Ton, das Geld ist knapp, der Vater trinkt, geht wohl auch gelegentlich ins Bordell und schon als Kind muss das Mädchen Verantwortung für seine Geschwis-ter übernehmen.


In dieser von Lieblosigkeit geprägten Atmosphäre ist Nachbarin Marion der ruhende Pol, eine mütterliche Freundin, die dem Kind und der Jugendlichen ein wenig Nestwärme gibt. Sie ist es auch, die Luxuria nach dem Schulab-schluss zum Hebammen-Beruf rät.

Doch weder die Freude über eine gut verlaufene Schwangerschaft und Ge-burt noch der Sex mit häufig wechselnden Partnern können die Sehnsucht der jungen Frau nach Anerkennung und erfüllende Liebe stillen.

Ihr Glück und zu sich selbst findet sie erst später bei Tom, der sie bedin-gungslos liebt, ihr Geborgenheit und stabilen Halt gibt. Mit seiner Fürsorge und menschlichen Wärme ent-schädigt er sie im wahrsten Sinne des Wortes für alles Schlimme, was ihr bis dahin widerfahren ist.


Resümee: Dieses Buch ist nach "Gulas Menü" (ein Roman über das Essen) und "Acedias Traum" (ein Roman über den Schlaf) das dritte aus der Tod-sünden-Reihe des Autors.


Nach der katholischen Lehre ist "Luxuria" eine der 7 Todsünden, nämlich

die "Wollust" als Synonym für Ausschweifung, Genusssucht, Begehren u. ä.. Sie steht als Wurzel allen Übels für einen unmoralischen, überwiegend sexuell geprägten Lebensstil, der zwangsläufig Verstöße gegen die 10 Gebote mit sich bringt und für den Sünder zur ewigen Verdammnis in der Hölle führt.


So endet es mit der Protagonistin nicht: Bei ihrem Streben nach dauer-haftem Glück am Tiefpunkt angekommen, erkennt sie zwar mit absoluter Klarheit: "Ich werde nie, nie, niemals im Leben glücklich werden." (Pos.

3982 E-Reader). Doch dann tritt mit Tom, ihrem späteren Ehemann, die Wende ein und er - passenderweise Pilot! - zeigt ihr das Paradies. Endlich findet sie inneren Frieden, Ruhe und Glück.


Genau diese Gegenüberstellung von der "Hölle" in Kindheit und Jugend

und "Himmel" im Erwachsenenalter macht den Reiz des Buches aus. Der Autor wirft mit einzelnen, prägenden Episoden Schlaglichter auf Luxurias Lebensweg:

Auf der einen Seite steht ihr glückloses Gefangensein in den Lebensum-ständen, ohne nennenswerte Chancen, ihnen zu entfliehen und ihre ver-zweifelte Suche nach Anerkennung und Liebe, die sie oft mit Sex verbindet.

Auf der anderen Seite sehen wir das Glück in der Beziehung mit Tom, die auf einem stabilen Fundament steht - mit der von Zuneigung, tiefer Ver-bundenheit und Wertschätzung geprägten Liebe als existenzieller Lebens-grundlage.

Beide Ebenen, die immer wieder ineinandergreifen, durchzieht wie ein roter Faden Luxurias mütterliche Freundin und Vertraute Marion, die sie als Kind und Jugendliche so manches Mal "aufgefangen" hat.


Dabei geht der Autor nicht chronologisch vor, wenn wir die Protagonistin auf ihrem Lebensweg von der Dreijährigen bis zu ihrem Tod im hohen Erwach-senenalter begleiten. Er schließt aber den Kreis um das schließlich peu à peu entstandene Gesamtbild, wenn er im Prolog mit Luxurias und Toms Tod beginnt, als vorletzte Episode die Geburt ihres ältesten Kindes und als letzte ihren oben geschilderten Tief- und Wendepunkt erzählt.


Dass der gemeinsame Tod des Paares weit nach dem Jahr 2015 liegt, habe ich als Hoffnung gebendes und optimistisch zukunftsweisendes Signal an künftige Generationen verstanden: Liebe und das mit ihr verbundene Glück wird als Lebensgrundlage in jedem Menschenalter nötig - und möglich - sein.


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Kommentare: 1
  • #1

    A. T. (Mittwoch, 28 Oktober 2015 07:39)

    Mit Erlaubnis des Autors Henning Schöttke hier ein Auszug seiner Mail an mich:

    "Liebe Annette,

    vielen Dank für deine tolle Besprechung! Neben vielem anderen freut es mich als Autor vor allem, wenn meine Metaphern und Mittel des Aufbaus wahrgenommen werden.

    Ja, Tom ist "passenderweise" Pilot - und Luxuria Hebamme. Liebe und Fliegen, Liebe und Geburt. (Das Thema Himmel und Erde habe ich auch schon bei "Gulas Menü" verwendet.) Schön, dass dies offenbar rüberkommt. Dazu auch der von mir gewählte Aufbau der letzten drei Kapitel: Tod, Geburt, Wendepunkt.

    Schön auch, dass du das stabile Fundament mit Tom herausstreichst. Dies erforderte beim Lektorat einige Überarbeitung, erst dadurch wurde mir bewusst, wieviel einfacher es ist, Unglück darzustellen als Glück. Glück birgt immer die Gefahr ins Kitschige abzugleiten. (...)

    Nach allen Gesprächen mit Buchhändlern und anderen vom "Fach" scheint es so, als hätte ich hier eine erzählerische Form gefunden, die es bisher noch nicht gab. Alle 7 Geschichten laufen parallel, beginnen etwa 1960 und gehen bis in die Jetztzeit. Aber alle berühren und beeinflussen einander. In "Acedias Traum" zB erfahren wir, dass der Tausch des grünen Pullovers dazu führte, dass Petty Jura studierte, um dann kurz vor dem 11. September in einer Anwaltskanzlei im World Trade Center zu landen. (...)

    Jedenfalls noch einmal vielen Dank für deine Mühe bei der fundierten und klaren Rezension.

    Liebe Grüße, Henning"