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Elmar Traks

Elmar Traks

Vertrauen ist gut ...

In meinem 2012 erschienenen Buch*) habe ich gängige Sprichwörter und Redewendungen einem deutsch-spanischen Vergleich unterzogen und erklärt:

"Bei einem Sprichwort handelt es sich um einen allgemein bekannten Ausspruch, eine gängige Lebensregel oder -weisheit, die auf allgemeiner Erfahrung beruht. Man könnte auch sagen, ein Sprichwort ist eine Volksweisheit, (...)." (ebd., S. 6)

 

Da jedes Volk eine andere Tradition und einen anderen geschichtlich-kulturellen Hintergrund hat, ist es kein Wunder, dass trotz gleicher inhaltlicher Bedeutung eine Lebensweisheit in beiden Sprachen meist völlig unterschiedlich ausgedrückt wird.

Dass es aber im Wertesystem beider Länder zum Teil gravierende Unterschiede gibt, erkennt man nicht nur daran, dass es für einige deutsche Sprichwörter keine inhaltliche Entsprechung im Spanischen gibt, sondern dies auch fürs Miteinander Konsequenzen hat.

 

So wird z. B. Vertrauen von Deutschen eher zwiespältig gesehen, im Sinne von "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser", "trau, schau, wem", "Vertrauen muss man sich erarbeiten". Und wen man als "vertrauensselig" bezeichnet, der ist zu leichtgläubig oder gar naiv.

 

In Spanien dagegen gilt Vertrauen als unentbehrliche Grundlage des Zusammenlebens und Erfolgs, denn

"la confianza es el primer secreto del éxito" ("Vertrauen ist das erste Geheimnis des Erfolgs"),

"la confianza sirve en las conversaciones más que el ingenio" ("Vertrauen nützt in Unterhaltungen mehr als Geist"),

bei Problemen hilft oft nur, Geduld und Vertrauen zu haben : "Hay que tener paciencia y confianza".

 

Dieser grundlegende Unterschied erklärt, warum viele Spanier auf Kritik, Hinterfragen oder Vorbehalte allergisch reagieren - was so manchen Deutschen dann wiederum irritiert.

 

Je höher die soziale Stellung des spanischen Gegenübers ist, desto unantastbarer ist er.

 

So haben wir beispielsweise in Bezug auf das Arzt-Patienten-Verhältnis in Deutschland die Erfahrung gemacht, dass sich dieses - natürlich personenabhängig - immer mehr zu einem respektvollen Miteinander entwickelt: Der Mediziner sieht sich vor allem als kompetenter, gesprächsbereiter Berater, die Entscheidung für eine bestimmte Behandlung trifft aber letztlich der Kranke.

 

In Spanien jedoch stellt der Arzt immer noch die Autorität eines "Halbgotts in Weiß" dar, dessen Wort für den Patienten ohne Diskussion maßgeblich ist. Seine übergeordnete Stellung äußert sich u.a. darin, dass er Patienten unabhängig von dessen Alter meist mit dem Vornamen und "Sie" anredet, man sich Gleiches aber tunlichst nicht erlauben sollte.

 

Wir haben in unserer neuen Heimat erfahren müssen, dass jede kritische Haltung, jedes Hinterfragen und erst recht jede Gegenmeinung als mehr oder weniger starkes Kratzen am imaginären Heiligenschein, Sägen am "Podest", kurz: als Unterwandern der Autorität aufgefasst und abgeschmettert wird.

Typisches Beispiel: In dem sicheren Wissen, dass ich ein bestimmtes Medikament, das mir der Arzt verordnen wollte, auch in kleinen Mengen nicht vertrage, bat ich um ein anderes Präparat. Die harsche Antwort: "Ach was, in dieser Dosierung macht das nichts. Nehmen Sie das mal!"

 

Dieser Umgang war für uns nach unseren Erfahrungen in Deutschland ein Rückschritt, und wir mussten lernen, Zweifel, Einwände und erst recht Widerspruch möglichst geschickt zu "verpacken" - vorzugsweise in Frageform. Dies bestätigt dem Gegenüber, dass seine fachliche Kompetenz im wahrsten Sinne des Wortes gefragt ist, und eröffnet ihm ggf. einen argumentativen Ausweg.

 

Zwei - zugegebenermaßen extreme - Beispiele mögen das Geschilderte veranschaulichen:

Vor unserer Auswanderung war ich wegen einer chronischen Erkrankung 15 Jahre lang bei einem Facharzt in Deutschland in stationärer und ambulanter Behandlung gewesen. Nach ein paar Jahren in Spanien verschlimmerten sich die Symptome wieder, und ich fürchtete, dass mir ein operativer Eingriff nicht erspart bleiben würde. Also suchte ich hier einen Spezialisten auf, der mir nach Anamnese und gründlicher Untersuchung die für mich relevante OP-Methode erklärte.

 

Bei der Verabschiedung bedankte ich mich zunächst für die geduldige, ausführliche und kompetente Beratung, und versicherte, ich würde mich in Kürze bei ihm melden, um den OP-Termin zu vereinbaren - Strahlen und freundschaftliches Händeschütteln meines Gegenübers.

Da eine Fehlentscheidung aber schlimme Folgen haben würde, machte ich dann einen verheerenden Fehler: Ich meinte nämlich, zu meiner Beruhigung würde ich gerne vorher noch Rücksprache mit meinem langjährigen behandelnden Arzt in Deutschland halten, um seine Unbedenklichkeit einzuholen.

 

Daraufhin lehnte der bis dahin so freundliche, verbindliche Spanier wutentbrannt und unwiderruflich meine Behandlung ab.

Begründung: ein eklatanter Mangel an Vertrauen auf meiner Seite.  

 

Ein ähnlicher Fall:

Ein Patient wechselte den Facharzt, weil dieser im Gegensatz zu seinem Kollegen eine spezielle Untersuchungsmethode anbot. Nach Sichtung der Krankenunterlagen kam das Statement, dass die Krankheit des Patienten vom bislang behandelnden Arzt nicht korrekt eingestuft und er der falschen Therapie unterzogen worden sei.

Das Argument des Patienten, dass die Behandlung aber erfolgreich gewesen sei, ließ der Medicus nicht gelten, und seinem grimmigen Gesichtsausdruck war zu entnehmen, dass er über diesen Einwurf "not amused" war.

 

Nach dem nächsten Besuch bat der Behandelte mit entsprechender Begründung um eine detaillierte Rechnung für die erstattungsfähige Abrechnung mit seiner deutschen Krankenkasse (in Spanien wird nicht nach GOÄ liquidiert, sondern man bekommt meist nur eine Art Quittung). Der Arzt reagierte sehr pikiert - ganz offensichtlich fasste er diese Bitte trotz der Erläuterung als Kontrolle auf.

 

Zu einer weiteren Konsultation kam es nicht, da der Arzt sich standhaft weigerte, dem begründeten Wunsch des Patienten nachzukommen, einen Eingriff stationär statt ambulant durchzuführen.

 

So weit, so schlecht. Ein paar Jahre später nahm der Patient das Angebot dieses Spezialisten an, über eine allgemein zugängliche Online-Plattform Fragen zu stellen, die er nach Eingang einer Gebühr beantworten würde. Er verweigerte jedoch rigoros die gekaufte Dienstleistung.

Begründung: Der Patient habe von der ersten Konsultation an kein Vertrauen zu ihm gehabt.

 

Wie erwähnt, sind dies 2 Extrembeispiele, sie zeigen jedoch deutlich, wie hoch "Vertrauen" in Spanien angesetzt wird, und dass das Anpassen an ein anderes Wertesystem ein dorniger Weg sein kann - vorausgesetzt, man hat die Unterschiede erst einmal erkannt.

 

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*) Annette Traks, Spanische Sprichwörter und Redewendungen -

    Das i-Tüpfelchen für Spanienfreunde, Books on Demand, 2012

 

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