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Elmar Traks

Elmar Traks

Highsmith, Patricia - Die zwei Gesichter des Januars (2014)

Erstveröffentlichung 1962

Roman

 

Der Amerikaner Rydal Keener (25) hat sein Jura-Studium in Yale erfolgreich abgeschlossen. Dank einer Erbschaft kann er es sich nun leisten, erst einmal durch Europa zu reisen und in den Tag hineinzuleben.

Als er sich schon einige Zeit in Athen aufhält, begegnet er dort eines Tages dem vor polizeilichen Ermittlungen aus Amerika geflüchteten Betrüger Chester MacFarland (42) und dessen Ehefrau Colette (25).

Rydal fühlt sich magisch zu dem Paar hingezogen, denn Chester erinnert ihn an seinen strengen Vater und Colette an seine Jugendliebe.

 

Als ein griechischer Polizist die MacFarlands in ihrem Hotel aufspürt und vernehmen will, kommt es zu einem Handgemenge zwischen beiden Männern, in dessen Verlauf der Grieche stirbt. Rydal überrascht Chester, als dieser die Leiche über den Hotelflur ziehen will, und hilft ihm beim Verstecken des Toten.

Mehr noch: Er sorgt dafür, dass das Ehepaar falsche Pässe bekommt und organisiert die Flucht nach Kreta; seine Griechisch-Kenntnisse sind dabei von großem Nutzen. Auf Wunsch Chesters, der ihn großzügig bezahlt, begleitet Rydal die beiden auf der Reise.

 

Mit zunehmender Eifersucht beobachtet der Chester jedoch, dass sich seine Frau und der gleichaltrige Amerikaner immer näherkommen. Als alle zusammen den Palast von Knossos besuchen, schmettert er wütend eine antike Amphore auf den Nebenbuhler. Die verfehlt jedoch ihr Ziel und trifft stattdessen Colette, die sofort tot ist.

 

Beide Männer reisen zurück nach Athen, wo ein Katz-und-Maus-Spiel beginnt: Einer will dem anderen den Tod der jungen Frau in die Schuhe schieben und sich dafür rächen. Es beginnt eine physische und psychische Hetzjagd, die von Athen über Paris nach Marseille führt.

 

Resümee: Im Zentrum dieses Romans steht das Januskopf-Motiv. Der römische Gott des Anfangs und des Endes wird mit zwei Köpfen dargestellt, von denen einer nach vorne, einer nach hinten blickt. Dies soll Vergangenheit und Zukunft bzw. Ende und Neubeginn symbolisieren, wie es sich auch in dem nach dem Gott benannten Monat Januar widerspiegelt, in dem der Roman beginnt.

Im weiteren Sinne steht die Doppelköpfigkeit auch für die Dualität des Lebens: Leben und Tod, Gut und Böse, Liebe und Hass usw.

 

Bezogen auf den Roman hier ein Interpretationsansatz:

Rydal Keener hat das zum Teil lieblose Verhalten seines strengen Vaters zwar verdrängt, aber nicht verarbeitet, ist daher auch nicht zu dessen Beerdigung nach Amerika zurückgereist. In engem Zusammenhang damit steht seine Jugendliebe Agnes; die Beziehung fand jedoch vor 10 Jahren durch eine egoistische Lüge des Mädchens ein unglückliches Ende.

Als er das Ehepaar MacFarland trifft, werden Rydals Jugend-Erinnerungen auf der Gegenwartsebene wieder lebendig, denn Chester erinnert ihn stark an seinen Vater, Colette an Agnes.

Indem er immer wieder Parallelen zieht, werden beide Zeitebenen zunehmend miteinander verwoben, Vergangenheit und Gegenwart sind in dem Ehepaar janusköpfig vereint.

 

Sowohl ihr Ehemann Chester als auch der gleichaltrige Rydal sind in Colette verliebt, und der Leser erwartet nach klassischem Muster, dass einer der beiden Männer schließlich "das Rennen" machen wird. Stattdessen jedoch hat Patricia Highsmith die junge Frau herausgeschrieben, sodass die Bühne für die beiden Kontrahenten frei ist. Diese wollen sich gegenseitig für deren Tod verantwortlich machen und ihn rächen. Es beginnt eine Jagd aufeinander, die zunächst von Anziehung und Abstoßung gekennzeichnet ist. In ihrem Denken und Fühlen, in ihren Absichten und Aktionen reagieren sie aber immer identischer, bis sie schließlich quasi zu einer Person mit zwei Köpfen miteinander verschmelzen.

Solcherart ist es nur folgerichtig, dass einer den anderen nicht umbringen kann.

Im Gegenteil, als Chester zum Schluss an den Folgen einer Schussverletzung durch die Polizei stirbt, gibt Rydal ihm das letzte Geleit, das er seinem Vater verweigert hat.

 

Dieses Werk wird ausdrücklich nicht dem Genre "Kriminalroman" oder "Thriller" zugeordnet, und so ist es nicht verwunderlich, dass Spannung und Dramatik - wenngleich durchaus vorhanden - nicht an erster Stelle stehen.

Der Reiz liegt vielmehr im Thematisieren des bereits beschriebenen Januskopf-Motivs und dem damit verbundenen Freilegen der menschlichen Psyche. Diese Umsetzung in eine Romanhandlung ist Patricia Highsmith hervorragend gelungen.

 

Fazit: ein anspruchsvoller Roman, in dem Spannung und Unterhaltung

   aber nicht zu kurz kommen.

 

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