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Elmar Traks

Elmar Traks

Bloh, Dominik - Unter Palmen aus Stahl (2017)

Die Geschichte eines Straßenjungen

 

Dominik Bloh (Jahrgang 1988) hat seinen leiblichen Vater nie kennengelernt. Die ersten 1 1/2 Jahrzehnte seines Lebens verbringt er entweder bei der Mutter und dem Stiefvater oder bei den Großeltern. Im Gegensatz zu seinem durch Gewalt und Drogen geprägten Elternhaus vermitteln diese ihm ein Gefühl der Geborgenheit und elementare Werte. Besonders seine Oma spielt eine elementare Rolle in Dominiks Leben. Aber: "Ihr Tod war der Startschuss für vieles Negative, was folgen sollte. Es war der Anfang meines tiefen Falls." ( E-Reader Pos. 26).

Er ist erst 16 Jahre alt, als seine Mutter ihn aus der Wohnung wirft und damit sein Dasein als Obdachloser beginnt: Mehr als 10 Jahre lebt er meist auf der Straße.

Das heißt, er hat keinen festen Wohnsitz, muss meist im Freien schlafen, hat kein Geld und keine Ausweispapiere. Dennoch versucht er, sich ein Mindestmaß an Würde zu bewahren.

 

Er besteht unter den denkbar ungünstigsten Umständen das Abitur, und als er Mitglieder der humanitären Stiftung "Dekeyser & Friends" sowie den Verlag "Ankerherz" kennenlernt, beginnt sein Weg von der Straße.

 

Heute hat er in Hamburg eine kleine Wohnung und Arbeit.

 

Resümee: Dominik Bloh - bei Erscheinen des Buches 29 Jahre alt - erzählt seine individuelle Geschichte und berichtet, wie er sich selbst mit viel Energie und eisernem Willen an den Haaren aus dem Sumpf gezogen hat. Dies ist in Bezug auf die Schar der Obdachlosen eine positive Ausnahme und somit natürlich nicht repräsentativ.

 

Ein Ziel des Autors ist es, den sogenannten "Normalos" einen Eindruck davon zu geben, mit welchen Unwägbarkeiten und Nöten auf der Straße lebende Menschen zu kämpfen haben. Als Insider liefert er eine andere Sicht auf deren Lage und sensibilisiert den Leser zweifellos für die täglichen Probleme dieser Personengruppe - zumindest in Bezug auf mich aber auch nicht mehr.

 

Denn: Ich wohne gerade für einige Zeit quasi mitten auf dem Kiez in Hamburg Sankt Pauli / Reeperbahn, werde somit täglich mit einem Teil der im Buch geschilderten Problematik konfrontiert. Nach der Lektüre hatte ich den noch nicht weiter konkretisierten Gedanken, dass "man" eigentlich mehr für die Obdachlosen tun, sich ihnen im wahrsten Sinne des Wortes mehr zuwenden müsse. Den schob ich allerdings ganz schnell wieder beiseite, als mich Obdachlose auf unflätigste Weise anpöbelten, weil ich nichts in ihren Becher tat, den sie mir aufdringlich fordernd unter die Nase hielten.

Ein anderer randalierte betrunken in der S-Bahn, bedrängte und beschimpfte Fahrgäste und war gerade noch davon abzuhalten, den "Nothalt"-Hebel zu ziehen.

Diese negativen Auswüchse finden so gut wie keine Erwähnung in dem Buch, sind wohl auch kaum mit der häufig erwähnten Würde zu vereinbaren, die die Obdachlosen angeblich zu wahren bemüht sind. So ein Verhalten ist bei mir nicht dazu geeignet, das gerade zart aufkeimende Reflektieren über positive Zuwendung weiter zu verfolgen.

 

In Bezug darauf bin ich auch der Ansicht, dass der Autor zum Teil zu viel erwartet. Er schildert z.B. die Situation, wie ein Obdachloser auf allen Vieren über den Bürgersteig kriecht. Die meisten Passanten laufen vorbei, nur wenige fragen, ob der Mann Hilfe benötige, gehen bei dessen "Nein" (weil er die "Würde" wahren will) jedoch weiter. Hier ist Bloh der Ansicht, dass man sich damit nicht zufrieden geben dürfe, sondern dennoch bei dem Betreffenden bleiben und Vertrauen schaffen müsse, bis er die Hilfe zulasse.

 

Ein weiteres Ziel, das der Autor mit dem vorliegenden Werk verfolgt, benennt er wie folgt: "Ich will anderen Menschen, denen es nicht so gut geht, durch mein Beispiel Mut machen." (Pos. 24). Soweit so gut - jedoch wird er dies durch sein Buch erreichen? Das würde die Lektüre durch zahlreiche Vertreter der betroffenen Personengruppe voraussetzen.

Der Verlag erweitert das o.a. Zitat sogar noch wie folgt: "Nehmt Euch an meiner Geschichte ein Beispiel, steht wieder auf!" (Pos. 2016). Dies empfinde ich als Schlag ins Gesicht der Obdachlosen und somit völlig deplatziert. Denn, um es salopp zu sagen: Erst mal können in deren desolater Situation, bei den geschilderten bürokratischen Hürden bzw. Unmöglichkeiten und offenbar unzureichender Unterstützung. Diese Äußerung spielt eher denjenigen in die Hände, die den Obdachlosen raten, sie mögen sich doch bitte gefälligst einen Job suchen.

 

An dem Buch bemängele ich nicht nur eine gewisse Einseitigkeit, sondern vieles bleibt unklar, der Phantasie und Interpretation des Lesers überlassen. Denn Dominik Bloh nennt häufig lediglich die Fakten, wird aber in Bezug auf Ursachen und Motivation des Verhaltens inbesondere der von ihm kritisierten Mitmenschen und Institutionen kaum konkret. Um nur 2 Beispiele zu nennen:

Warum z.B. öffnet der Freund (!), bei dem er als Jugendlicher abends klingelt, um um einen Schlafplatz zu bitten, ihm nicht die Tür? Was ist vorgefallen, dass er die dringend benötigte Hilfe verweigert?

Warum zerbricht offenbar der Chancen, wenn nicht gar Erfolg versprechende Kontakt zu einer bekannten Rap-Gruppe?

 

Um es ausdrücklich zu betonen: Ich zolle dem Autor uneingeschränkt sehr viel Respekt und Anerkennung dafür, was er bei einer denkbar ungünstigen Ausgangslage mit viel Energie und Engagement aus seinem Leben gemacht hat.

Und es gelingt ihm mit seinem Werk, das übrigens Skizzen und selbst entworfene poetische Texte enthält, zweifellos, die "Normalos" für das Schicksal der Obdachlosen zu sensibilisieren.

Meine Kritik richtet sich vor allem gegen eine gewisse Einseitigkeit zugunsten seiner "Schützlinge" und eine zu große Anspruchs- oder zumindest Erwartungshaltung.

 

Noch ein Wort zum Titel: Dominik Bloh hat eine Zeit lang im Bereich des Hamburger Hafens auf einer Bank geschlafen mit Blick auf große Maschinen, Schiffe mit hohen Masten und Kräne mit weiten Auslegern, die er mit einem Bild von "Palmen aus Stahl" assoziiert. Was für viele vielleicht eine romantische Vorstellung ist - im Freien zu schlafen, vielleicht sogar im sonnigen Süden unter Palmen -, ist für ihn (stahl-) harte Realität.

  

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