Erinnerungen an das Leben mit meiner alzheimerkranken Mutter
Der Bruder der Autorin lebt mit seiner Frau ca. 400 km von Schwester und Mutter entfernt. Nur alle paar Monate können sie sie in Köln besuchen, erleben diese Treffen dann aber umso intensiver. Bei so einer Gelegenheit fällt ihnen auf, dass die alte Dame merkwürdige Gewohnheiten entwickelt und sich ihr Verhalten geändert hat – nichts Dramatisches, aber aus Sicht der Verwandten doch im wahrsten Sinne des Wortes bemerkenswert.
Tochter Gabriela, die die 70-Jährige mehrmals wöchentlich in deren Wohnung im Nachbarort besucht, schiebt die Bedenken des Bruders beiseite, findet harmlose Erklärungen für das seltsam anmutende Verhalten der Mutter.
Doch die Anzeichen, dass mit ihr etwas nicht stimmen kann, mehren sich. Die Autorin kann einen Arzttermin mit ihrer Mutter arrangieren, dem weitere Untersuchungen folgen: Die Diagnose Alzheimer trifft alle wie ein Schock … und betrifft die gesamte Familie, deren Leben sich mit fortschreitender Krankheit immer mehr ändert. Denn Gabriela beschließt, die Kranke zu pflegen.
Sie ahnt nicht, welche enormen Belastungen auf sie zukommen werden, die sie in den nächsten 12 Jahren an und über ihre eigenen Grenzen der physischen und psychischen Belastbarkeit führen werden.
Resümee: Die Autorin schildert in diesem sehr persönlichen Buch das Leben mit ihrer alzheimerkranken Mutter – beginnend mit den ersten Symptomen bis hin zu ihrem Tod … ein 12 Jahre dauernder Leidensweg.
Die Kapitelüberschriften geben schlaglichtartig die markantesten Stationen der Entwicklung wieder, während der die Krankheit erbarmungslos immer weiter voranschreitet:
Es beginnt mit „Merkwürdige[n] Begebenheiten“, die der Bruder bei seinem oben geschilderten Besuch erlebt.
„Die Diagnose“ ist für die Familie ein Schock und wird in Zukunft das Leben aller immer mehr beeinflussen; es richtet sich schließlich komplett nach den Bedürfnissen der Mutter.
Die Entwicklung erfordert es, dass die alte Dame ihre Selbstständigkeit aufgeben muss und im Haus der Tochter „Ein neues Zuhause“ findet. Sogenannte Freunde und Bekannte ziehen sich zurück.
„Zwischen Hoffnung und Verzweiflung“ muss sich die Familie eingestehen:
„Die Lage spitzt sich zu“ und es wird „Nichts wird mehr, wie es war“. Das bringt unausweichlich gravierende Entscheidungen mit sich.
„Die Zeit danach“ ist als „Der lange Abschied“ charakterisiert.
Thematisiert werden dabei u.a. auch folgende Aspekte, um nur ein paar Stichpunkte zu nennen:
∙ die eigene Berufstätigkeit vs. Pflegeaufwand als organisatorischer Spagat,
∙ eigene Bedürfnisse, Familie und eine gerade geschlossene neue Partnerschaft,
∙ Vorwürfe, Besserwisserei der Mitmenschen, die aber nichts zur Betreuung beitragen, sich im Gegenteil in Ausreden flüchten und zurückziehen; es gibt nur eine wohltuende Ausnahme,
. der Umgang mit weiteren Schicksalsschlägen im unmittelbaren Umfeld, die die Familie belasten,
∙ Pflegemissstände in Heimen,
∙ Persönlichkeitsveränderungen der Kranken, auch das Verhalten gegenüber der eigenen Tochter betreffend.
∙ Wie geht man damit um, wenn die Mutter sich in der Öffentlichkeit krankheitsbedingt nicht den gängigen Normen entsprechend verhält?
∙ Wie wird man als Angehöriger mit den zunehmenden enormen physischen und psychischen Herausforderungen fertig?
Die Autorin schildert nicht nur die Fakten, sondern benennt auch sehr offen ihre eigenen Gedanken und Gefühle, die zwischen Hoffnung, Ohnmacht, Trauer, Wut, Verzweiflung pendeln.
Es wird zum einen deutlich, dass die Alzheimer Demenz unabhängig von z.B. Bildungsstand und Alter jeden treffen kann – auch z.B. Mittsechziger. Zum anderen kristallisiert sich heraus, dass Angehörige sich sehr gut überlegen müssen, ob sie für die in jeder Hinsicht extrem belastende und zunehmend intensiver werdende Betreuung in den eigenen vier Wänden wirklich geeignet sind.
Im Gegensatz zu früher, als die Mutter der Autorin erkrankte, gibt es heute viele Informationen und Hilfsangebote zum Thema Demenz allgemein und Alzheimer im Besonderen. Das ist nicht zuletzt Gabriela Zander-Schneider und ihrem Ehemann Wolfgang Schneider zu verdanken, die noch zu Lebzeiten der Mutter die gemeinnützige, unabhängige Organisation „Alzheimer Selbsthilfe e.V.“ gegründet haben und mit dem Thema immer wieder in die Öffentlichkeit gehen.
Fazit: ein sehr bewegendes, eindringliches Dokument, das im gesamten
Handlungsverlauf stets die Würde der Mutter wahrt.
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