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Elmar Traks

Elmar Traks

Baker, Chandler – Whisper Network (2020)

Roman

 

Die Freundinnen Sloane, Ardie und Grace haben als Juristinnen bei „Truviv“ - dem Weltmarktführer für Sportbekleidung und Sponsor für Spitzenathleten – Karriere gemacht. Sie hoffen, dort

noch weiter aufzusteigen.

Als der Geschäftsführer des Unternehmens plötzlich stirbt, soll Ames Garrett, Chefjurist und Vorgesetzter der drei Frauen, dessen Nachfolge antreten.

Doch das wollen sie unbedingt verhindern, denn Ames gilt als sexuell übergriffig. Auch die drei Frauen haben diesbezüglich mit ihm bereits Erfahrungen gemacht; Beschwerden darüber hat die Firmenleitung

jedoch stets verharmlost und nicht weiter verfolgt.

 

Sloane setzt Ames daher nun auf die BaD-Liste, die „Begrapscher aus Dallas“-Liste. In sie können ohne juristische Konsequenzen die Männer eingetragen werden, die am Arbeitsplatz sexuell aggressives Verhalten zeigen. Die Absicht dieses „Whisper Network“ ist es, andere Frauen durch das heimliche Weiterreichen des Verzeichnisses vor diesen Männern zu warnen.

 

Doch nicht lange nach Sloanes Aktion gelangt die Liste an die Öffentlichkeit, und kurz darauf ist Ames Garrett tot.

War es Selbstmord, weil er die Anschuldigungen nicht ertragen konnte, oder Mord aus Rache?

Haben Sloane, Ardie und Grace etwas mit seinem Ableben zu tun?

Welche Rollen spielen die neue, ehrgeizige Kollegin Katherine und die Reinigungskraft Rosalita?

 

Resümee: Die Protagonistinnen sind drei Karriere-Frauen, die seit Langem bei „Truviv“ arbeiten und miteinander befreundet sind:

Ardie Valdez ist Mutter eines 4-jährigen Jungen, geschieden, aber auf der Suche nach einem neuen Partner.

Grace Stanton ist erst vor Kurzem Mutter geworden. Während ihr Mann in Elternzeit ist, flüchtet sie sich lieber in die Arbeit – auch wenn das bedeutet, dass sie immer wieder Pausen zum Abpumpen der Muttermilch einlegen muss.

Die verheiratete Sloane Glover hat eine Tochter im Teenager-Alter, die in der Schule von Jungs gemobbt wird. Der Rektor allerdings ist der Ansicht, sie solle das einfach ignorieren und sich nicht wehren – Sloane und ihr Mann sehen das anders.

 

Alle drei haben nicht nur privat ihr „Päckchen“ zu tragen und am Arbeitsplatz aufgrund ihres Geschlechts Nachteile in Kauf zu nehmen, sondern auch Erfahrungen mit Ames Garretts sexueller Zudringlichkeit gemacht. Alle Bereiche beeinflussen sich gegenseitig, besonders herausgestellt werden die Doppelbelastung von Familie und Beruf sowie der – vor allem auch mentale – Umgang mit den sexuellen Avancen.

 

Ich hatte am Anfang Probleme, die genannten Charaktere und ihre jeweiligen privaten und beruflichen Verhältnisse zu unterscheiden – trotz ihrer unter-schiedlichen Situationen stach keiner besonders hervor. Möglicherweise ist dies von der Autorin gewollt, um zu zeigen, dass alle Frauen trotz sich unterscheidender Hintergründe ein vergleichbares Schicksal tragen.

 

Als die junge, ehrgeizige Havard-Absolventin Katherine Bell neu in die Firma kommt und Sloanes Abteilung zugeordnet wird, wird sie Ames nächstes Opfer. Dies ist der Zeitpunkt, an dem Sloane Ames Garrett auf die BaD-Liste setzt.

 

Eine weitere Rolle – welche bleibt für den Leser bis zum Schluss im Dunkeln – spielt auch Rosalita, die ihre Tätigkeit als Reinigungskraft bei „Truviv“ sehr genau nimmt. Sie ist alleinerziehend und will ihrem Sohn eine möglichst gute Schulausbildung ermöglichen.

 

Erzählt werden die aktuellen Ereignisse aus der Sicht von Ardie, Grace

und Sloane, und zwar meist in der erzählenden Er-Perspektive, die aber gelegentlich in die auktorial-kommentierende Wir-Form wechselt. Dies ist insofern ein geschicktes Mittel, um die Leserinnen direkt anzusprechen und so mit einzubeziehen - im Sinne eines solidarischen „Wir Frauen“.

 

Eingeflochten in den Handlungsverlauf werden immer wieder Zeugen-befragungen, die nach Ames Garretts Tod stattfinden. Dadurch bekommt

das Geschehen eine gewisse Spannung, denn der Leser kann vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse bis zum Schluss miträtseln, ob sein Ableben Selbstmord oder Mord war und wer in diesem Fall der Täter / die Täterin ist.

 

Der Roman ist ein Beitrag zur #MeToo-Bewegung, bei der betroffene Frauen ermutigt werden sollen, sexuelle Übergriffe und Gewalt durch Männer öffentlich zu machen – ein heikles Thema, wie die Autorin deutlich herausgearbeitet hat.

Mich haben vor dem Hintergrund der Handlung vor allem folgende Punkte nachdenklich gemacht:

• Ist sexuelle Belästigung eigentlich objektivierbar oder wird sie allein durch die subjektive Beurteilung der jeweiligen Frau in ihrem individuellen Fall definiert? Mehr noch: Ist es möglich, dass eine Frau sich durch die Avancen eines Mannes geschmeichelt, ein anderes Mal jedoch in vergleichbarer Situation vom selben Mann sexuell genötigt fühlt?

 

Damit hängen unmittelbar folgende Fragen zusammen:

• Ist es moralisch und juristisch gerechtfertigt, wenn eine Frau zunächst einvernehmlichen Sex mit einem Mann hatte, nach Beendigung der Affäre aber von sexueller Nötigung redet?

• Gibt es eine klare Trennlinie, bei der mehr oder weniger plumper Annäherungsversuch, ungeschicktes oder unüberlegtes Verhalten, nett gemeintes, charmantes Kompliment aufhören und sexuelle Anmache beginnt? Ist der Mann hier nicht manchmal überfordert, was die mögliche Interpretation seines jeweiligen weiblichen Gegenübers anbelangt?

 

• Welche anderen Motive als verletzte Gefühle spielen bei einer Anklage wegen sexueller Aggression evtl. eine Rolle? Und was sagt der gewählte Zeitpunkt darüber aus? Ist er im wahrsten Sinne des Wortes manchmal „Berechnung“ - ebenso wie das (lukrative) Schweigen in einigen Fällen?

 

• Welche Rolle spielt Frauensolidarität bei der Etikettierung eines Mannes als „Begrapscher“?

 

Bei der Beantwortung einiger dieser Fragen wird in dem Buch auch eine gewisse Doppelmoral deutlich. Um einer schlüssigen Beantwortung zumindest näher zu kommen, müsste man allerdings auch die männliche Perspektive stärker einbeziehen.

Da dies in diesem Roman nicht gegeben ist, handelt es sich um reine Frauenliteratur.

 

Fazit: ein feministischer Roman, der trotz gelegentlicher Klischeehaftigkeit

noch einmal zum Nachdenken über das Geschlechterbild in unserer Gesellschaft anregt.

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Jacki von "Liebe dein Buch" (Montag, 28 September 2020 21:47)

    Liebe Annette,

    ich habe deine Rezension beim Stöbern entdeckt. Du hast sehr schöne Worte zu dem Buch gefunden!

    Das Thema im Roman fand ich persönlich sehr gut gewählt. Je mehr feministische Romane, desto mehr. Allerdings gibt es für mich bessere Werke. Ich hatte ein paar Probleme mit dem Schreibstil und den Protagonistinnen und leider fand ich 2/3 der Geschichte etwas zäh.

    Ich habe deine Rezension unter meiner verlinkt. Falls das nicht in Ordnung für dich ist, sag mir bitte unbedingt Bescheid.

    Liebe Grüße
    <a href="https://liebedeinbuch.blogspot.com">Jacki von Liebe dein Buch </a>♥