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Elmar Traks

Elmar Traks

Lind, Hera – Mit dem Rücken zur Wand (2021)

Roman nach einer wahren Geschichte

 

Sara steht zusammen mit Helga und Marius wegen versuchten Mordes respektive Anstiftung zur gefährlichen Körperverletzung vor Gericht. Das Opfer ist der 71-jährige Vater von Sara, die zusammen mit dessen Lebensgefährtin Helga

die Tat bei Marius in Auftrag gegeben hat.

Geplant war „nur“ ein Denkzettel, doch die Aktion ist komplett aus dem Ruder gelaufen, und der alte Mann wurde so schwer verletzt, dass er lange im Koma lag, bevor er sich in der Reha erholen konnte.

Doch Sara sieht sich nicht als Täterin, sondern als Opfer ihres narzisstischen und gewalttätigen Vaters, dem sie und ihre verstorbene Mutter stets ausgeliefert waren.

Das Buch schildert, wie es zu der Tat kommen konnte:

Solange Sara sich erinnern kann, hat der Vater sie und ihre verstorbene Mutter psychisch und physisch aufs Übelste schikaniert, massive Gewalt war an der Tagesordnung.

 

Sara kommt schließlich auf ein Internat, absolviert anschließend sehr erfolgreich eine Lehre, heiratet, startet zusammen mit ihrem Mann ein Restaurant-Projekt und bekommt einen Sohn. Als ihr Mann bei einem Autounfall stirbt, ist sie hoch verschuldet und mit einer Tochter schwanger.

 

Knapp 12 Monate später, mit Ende 20, erbt sie das Haus ihrer Großmutter, das direkt neben dem ihres Vaters steht. Sie nimmt nach einiger Überlegung das Erbe an – zum einen aus finanziellen Gründen, zum anderen weil sie Haus und Wohngegend für Sohn und Tochter als Paradies sieht und weil sie dann selbst nicht mehr arbeiten muss, sondern sich um die Kinder kümmern kann. Sie hofft, nun als Erwachsene in Harmonie und Frieden mit ihrem Vater leben zu können.

Doch das entpuppt sich als schöner Traum, denn der alte Mann hat sich nicht geändert und macht ihr das Leben zur Hölle.

 

Auch seine von ihm getrennt wohnende Lebensgefährtin Helga hat unter seiner Brutalität zu leiden, schafft es jedoch nicht, das Verhältnis zu beenden.

 

Als sich zu dem an Saras Haus arbeitenden Dachdecker Marius ein freundschaftliches Verhältnis entwickelt, entsteht der Plan, dass er der Geeignete ist, um dem Vater einen Denkzettel zu verpassen – Sara und Helga wollen ihn mit je 1000 € dafür bezahlen. Doch die Tat läuft komplett aus dem Ruder und hat katastrophale Folgen.

 

Resümee: Hera Lind hat auf Bitten Saras dieses Buch mit ihrer Geschichte geschrieben.

Bei der Beurteilung möchte ich differenzieren:

Schriftstellerisch ist das Buch exzellent. Hera Lind versteht es, den Leser so mitzureißen, dass er in die Handlung regelrecht eintaucht. Durch die Mischung aus Rückblenden in Saras von väterlicher Gewalt geprägte Kindheit einerseits und die Schilderung der Situation als erwachsene direkte Nachbarin ihres Vaters, der ihr das Leben zur Hölle macht, andererseits, ist ein spannender Roman entstanden.

 

Davon zu trennen sind inhaltliche Aspekte, denen ich mit mehr oder weniger großem Unverständnis begegnet bin. Wobei es natürlich immer schwer ist, Verhalten von Menschen in Situationen zu bewerten, die man in dieser Härte glücklicherweise nicht selbst erlebt hat, sodass man sich nur bedingt in sie hineinversetzen kann.

 

Dennoch: Sara legt ihre Gründe, das Erbe der Großmutter anzunehmen und trotz ihres als gewalttätig bekannten Vaters in das Nachbarhaus zu ziehen, ausführlich dar (siehe Inhaltsangabe). Hier hatte ich bereits die vage Vermutung, dass die finanziell verschuldete junge Witwe und Mutter trotz der ausführlichen Begründungen einen Weg wählt, der für sie vordergründig am bequemsten ist, da er sie weiterer Überlegungen enthebt, wie sie ihr Leben fortan meistern will. Hat sie nach ihren extrem traumatischen Kindheits-erlebnissen wirklich geglaubt, ihr Peiniger habe sich geändert? Warum will

sie nicht nur sich, sondern auch ihre Kinder dieser potenziellen Gefahr aussetzen?

Aber o.k., da die Hoffnung bekanntlich zuletzt stirbt, ist das Vorhaben vielleicht einen Versuch wert, obwohl selbst ihre Halbschwester sie warnt. Sara indes wischt alle Zweifel beiseite: „Darüber wollte ich lieber nicht nachdenken. Es DURFTE (sic) nicht wieder knallen!“ (Pos. 311)

 

Doch bereits beim Willkommensfrühstück, zu dem Sara ihren Vater einlädt, um ihren Willen zu einer friedlichen Nachbarschaft zu demonstrieren, zeigt sich, dass er ganz der Alte geblieben ist: Er schikaniert sie und ihre kleinen Kinder während seines Besuchs aufs Übelste.

Spätestens als sich dieses Verhalten nicht nur fortsetzt, sondern steigert und schließlich eskaliert, sodass die Situation mehr und mehr an ihren Nerven zehrt, auch ihre Kinder darunter leiden, hätte sie aus der Gefahrenzone wegziehen müssen.

Erst recht, weil ein Grund für die Annahme des Erbes war, dass Sohn und Tochter dort behütet wie im Paradies aufwachsen könnten.

 

Denn sie steht nicht „mit dem Rücken zur Wand“ (Titel), das heißt, sie ist nicht in einer ausweglosen Situation. Zum Beispiel hätte sie das Haus – wie ihre Halbschwester ihr rät – verkaufen und von dem Erlös zumindest einen Teil ihrer Schulden begleichen können. Schließlich hat sie auch noch ein Mietshaus von ihrer Großmutter geerbt, das sie und ihre Kinder nicht nur finanziell absichert, sondern ihnen sicher auch eine Wohnmöglichkeit bieten würde. Aber Sara stellt sich stur: „Es ist doch mein Recht, mein Erbe anzunehmen! (…) Meine Oma hat mir das Haus bestimmt nicht vererbt,

damit ich es verkaufe!“ (Pos. 357)

Als der Vater ihr mit der Faust so heftig ins Gesicht schlägt, dass sie monatelang in zahnärztlicher Behandlung ist, rät die Polizei von einer

Anzeige ab: „In solche privaten Streitereien mischen wir uns von der Polizei nur ungern ein. Es bringt einfach nichts.“ (Pos. 2010). Stattdessen legt man ihr – wie später z. B. auch der Zahnarzt - einen Umzug nahe. Doch sie bleibt kompromisslos, mit dem Argument, dass sie sich damit nicht ihrem Vater beugen und die Kinder nicht aus ihrer gewohnten Umgebung reißen will … obwohl sie selbst sich kaum noch aus dem Haus traut.

 

Als sie versucht, über einen Anwalt eine einstweilige Verfügung für ein Näherungsverbot des Vaters zu ihr und den Kindern zu erwirken, rät er ihr davon ab, weil er fürchtet, dass der alte Mann dann erst recht aggressiv reagiert. Stattdessen solle sie ihm aus dem Weg gehen und eine Bodycam tragen, um Übergriffe beweisen zu können.

 

Sieht man von der Einstellung von Polizei und Anwalt ab, bei denen sie Hilfe gesucht hat, ist Saras Haltung generell passiv: Statt selbst aktiv zu werden und etwas an ihrer Lage zu ändern (z.B. durch Verkauf des Hauses und Umzug), hofft sie jahrelang auf die Hilfe ihrer Mitmenschen und darauf, dass jemand anderes endlich mal den Mut hat, ihrem Vater die Meinung zu sagen. Auch eine kleine Abreibung sollte ihm einmal verpasst werden, damit er weiß, wie sich so etwas anfühlt. Ihre extrem naive Hoffnung ist, dass der

70-Jährige, der Zeit seines Lebens ein brutaler Narzisst gewesen ist, sein Verhalten dann zum Positiven ändert.

 

Auch das schon verzweifelt anmutende Festhalten an der On-Off-Beziehung zu Daniel, an dem sie bemängelt, dass er ihr kaum eine Stütze ist, unter dem Einfluss seiner Mutter steht, und möglichst keine Probleme haben will, entzieht sich meinem Verständnis. Bequem ist es allerdings, dass er sich um ihre Kinder kümmert, wenn sie wegen der Situation mit ihrem Vater dazu nicht in der Lage ist.

 

Nein, Sara ist mir, bei allem Mitgefühl für ihre traumatische Kindheit, als Erwachsene nicht sympathisch. Sie kommt als Person rüber, die gerne den Weg einschlägt, der für sie möglichst wenig Mühe / Eigeninitiative bedeutet, sondern den andere für sie bereiten.

Bei Schwierigkeiten hofft sie darauf, dass andere aktiv werden, ihr helfen und die Probleme für sie lösen. Tun sie dies nicht oder nur sehr bedingt, wie z.B. Daniel, so gelten sie in ihren Augen als „Weicheier“.

 

Fazit: schriftstellerisch ein dickes Plus, inhaltlich ein ebenso dickes Minus.

 

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