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Elmar Traks

Elmar Traks

Lind, Hera – Die Frau, die frei sein wollte (2018)

Roman nach einer wahren Geschichte

 

Selmas Vater und dessen Brüder sind in den 60-er Jahren

von der Türkei nach Köln ausgewandert, wo sie sich mit einer Schneiderwerkstatt selbstständig gemacht haben.

1979 ist das Geschäft zwar sehr erfolgreich, doch die Eltern leben getrennt. Die 17-jährige lebensfrohe Selma steht kurz vor dem Abitur und freut sich darauf, ihre Jugendliebe Ismet zu heiraten, der schon Medizin studiert. Ihre Mutter und der älteste Bruder sind gerade in der Türkei, um die Hochzeit vorzubereiten, denn Tradition und Ehre werden in der Familie nach wie vor groß geschrieben.

Selma hat Sommerferien und hilft in der Leder- und Jeansboutique ihres Vaters aus. Eines Tages muss er noch vor der nahen Mittagspause plötzlich wegen eines wichtigen Termins weg, und obwohl es nach muslimischen Gesetzen eigentlich nicht erlaubt ist, soll seine Tochter kurz alleine in dem gut besuchten Laden bleiben.

 

Da steht plötzlich Orhan vor ihr – der Sohn von ehemaligen Angestellten ihres Vaters, der für Selma schwärmt und sie unbedingt heiraten will. Seine Eltern haben vor einiger Zeit bei ihrem Vater auch bereits um ihre Hand angehalten, dieser hat ihnen jedoch eine Abfuhr erteilt. Es gelingt Selma nur durch sehr bestimmtes Auftreten, den aufdringlichen Mann aus dem Geschäft zu bekommen. Doch der gibt nicht auf, wartet mit seinem Auto draußen auf sie und kann sie überreden einzusteigen, damit sie, die den Bus verpasst hat, rechtzeitig zum Mittagessen zu Hause ist.

 

Damit ist Selmas weiteres Schicksal besiegelt, denn Orhan entführt sie in seine Wohnung. Unter Androhung von Gewalt - auch gegen Angehörige ihrer Familie - wird sie gezwungen, ihre Eltern anzurufen und zu schwören, dass sie Orhan liebt und ehelichen will. Sie gilt fortan als entehrt und wird zwangs-verheiratet … es beginnt ein einziger Albtraum. Denn fortan lebt das Paar zusammen mit Orhans Eltern in einer winzigen, schäbigen Wohnung, die Selma nicht verlassen darf. Stattdessen muss sie ihrem gewalttätigen Mann, der sie missbraucht, quält und unter Alkoholeinfluss mehrmals krankenhaus-reif schlägt, in jeder Beziehung zu Diensten sein und auch dessen Mutter gehorchen.

 

Erst nach jahrelangem Martyrium gelingt ihr die Befreiung.

 

Resümee: Der Roman über Selmas Lebensgeschichte ist unglaublich spannend. Das liegt vor allem daran, dass man zwar einerseits bereits zu Beginn erfährt, dass sie sich irgendwann aus ihrer Hölle befreien kann, sich dies aber andererseits aufgrund der furchtbaren Umstände in der Ehe mit Orhan kaum vorstellen kann. Zu dieser Hoffnungslosigkeit trägt auch Selmas Loyalität gegenüber ihrer eigenen Familie bei, der sie keine Schande bereiten will. Daher wissen ihre Angehörigen viele Jahre nichts von ihrem Martyrium.

Man fragt sich immer, wie viel sie noch ertragen kann, sieht sie schon so manches Mal nicht nur an, sondern schon weit über ihren physischen und psychischen Grenzen und überlegt, welches Wunder wohl geschehen mag.

 

Als von westlichen Werten geprägter Mensch kann man es kaum glauben, was diese junge Frau im Namen von Tradition und Familienehre alles durch-machen muss. Es gelingt Hera Lind, dieses auf den Maximen einer völlig anderen Kultur basierende Unverständnis sehr gut herauszuarbeiten, wenn Selma z.B. später einen jungen Deutschen kennenlernt. Dieser wirbt ernsthaft um sie, ist sehr rücksichsichts- und verständnisvoll, möchte mit ihr eine Beziehung aufbauen, doch es dauert sehr, sehr lange, bis Selma sich auf ihn einlassen kann. In den Gesprächen der beiden werden ihre Anschauungen gegenübergestellt – so unterschiedlich sie sind, so nachvollziehbar sind beide Seiten.

 

Als sie ihren jetzigen Mann schon viele Jahr kennt und mit den Vorberei-tungen für dieses Buch befasst ist, kann selbst er einige durch Tradition und Ehre bestimmte Verhaltensweisen immer noch nicht gänzlich verstehen.

 

Selma wollte frei sein, und sie hat es schließlich geschafft, sich freizu-kämpfen. Dank ihres Mutes und des Glaubens an sich selbst ist sie ein völlig anderer Mensch geworden. Auch ihre kleine Tochter, um die sie sich kümmern musste, hat ihr immer wieder die Kraft gegeben durchzuhalten. Sie hat schließlich sogar beruflich Karriere gemacht, ist heute wieder verheiratet und lebt in einer liebevollen Beziehung, in der Respekt und Vertrauen herrschen.

 

In einem Nachwort betont die Protagonistin, dass sie allen Frauen, die sich in einer ähnlichen Situation wie sie befinden - das heißt vor allem, Gewalt in der Ehe erleben - Mut machen will zu kämpfen und sich zu befreien.

 

Fazit: ein spannendes Buch, in dem die gegensätzlichen Werte und

Traditionen, die das Handeln bestimmen, so gut herausgestellt werden, dass man beide Seiten – wenn auch nicht in Gänze – verstehen kann.

 

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