Kriminalroman
Eines Nachts fährt ein blauer VW Tiguan langsam durch die Julius-Leber-Straße in Hamburg-Altona, ganz so als suche der Fahrer eine bestimmte Hausnummer. Als er schließlich anhält, steigt ein komplett schwarz gekleideter und vermummter Mann aus, der 2 Straßen weiter zu einem Mietshaus geht, wo er in die Erdgeschosswohnung des
78-jährigen Rentners Albrecht Tarnow einbricht.
Erst ein paar Tage später wird dessen Leiche dort gefunden: auf dem Bett liegend, der Oberkörper in eine Zwangsjacke gesteckt, die Beine mit Gurten fixiert und eingewickelt wie eine Mumie. An die Wand hat jemand in blutroten Buchstaben „Das Andere der Vernunft“ gesprayt.
Kommissar Thies Knudsen, leitender Ermittler beim LKA in Hamburg,
und seine Kollegin Dörte Eichhorn stehen vor einem Rätsel: Warum musste der alte Mann sterben und was hat der Spruch zu bedeuten? In Bezug auf Letzteres kann Knudsens alter Freund Oke Andersen, ein pensionierter Lotse, helfen. Da er gerne philosophiert, haben seine Kollegen ihm einst in An-lehnung an den chinesischen Philosophen Laotse den Namen „La Lotse“ gegeben.
In kurzen zeitlichen Abständen werden weitere Leichen gefunden: gefesselt und erfroren unter einer laufenden Dusche – vergiftet - in eine dunkle Kammer gesperrt. Da der Mörder jedes Mal einen Taser benutzt hat, um die Opfer zunächst zu immobilisieren, und wie im ersten Fall immer eine rätselhafte Botschaft hinterlassen hat, geht man von dem gleichen Täter aus.
Doch wie kann diese grausame Mordserie gestoppt werden, wenn man keinen weiteren Hinweis auf ihn oder das Motiv hat und auch keine Ver-bindung zwischen den Opfern herstellen kann? Auch hier gibt „La Lotse“ schließlich einen wertvollen Hinweis: Die Spur führt auf die kleine Elbinsel Kaltehofe, auf der ein Gebäude steht, das auch „das kalte Haus“ genannt
und früher als Kinderheim genutzt wurde.
Resümee: Dies ist ein sehr spannender Krimi, bei dem sich die Leser eben-so wie die Ermittler um Thies Knudsen und Dörte Eichhorn von Anfang an fragen, warum die Opfer sterben mussten und was die in blutroten Buch-staben an Wänden hinterlassenen verschiedenen kryptischen Botschaften ausdrücken sollen. Diese und die Verwendung eines Tasers bei allen Fällen deuten auf einen einzelnen Serientäter.
Doch worauf lassen die unterschiedlichen, grausame Foltermethoden schlie-ßen, die jeweils zum Tode führten? Was verbindet die Opfer miteinander und wer wird das nächste sein?
Da etliche Passagen Einblick in das Täterdenken geben, hat der Leser bald eine Idee, und Oke Andersen aka „La Lotse“ führt die Ermittler schließlich
auf die richtige Spur, nämlich zu der kleinen Elbinsel Kaltehofe, auf der früher verschiedene soziale Einrichtungen, darunter ein Kinderheim gestanden haben.
Das Buch beschreibt Zustände, wie sie in Deutschland noch bis in die 70-er Jahre in solchen Einrichtungen existierten, in denen hauptsächlich uneheliche Kinder oder solche aus schwierigsten sozialen Verhältnissen untergebracht waren. Physische und psychische Gewalt, allen voran Misshandlungen, sexueller Missbrauch, unmenschliche Strafen für kleinste Verfehlungen, Ruhigstellen durch Medikamente sowie höchst fragwürdige medizinische Eingriffe waren an der Tagesordnung.
Die Charaktere sind alle sehr gut herausgearbeitet.
Jeder der in den Fällen Ermittelnden hat sein eigenes „Päckchen“ zu tragen, ohne dass dies die Krimihandlung dominiert. Lediglich das Schicksal von Oke Andersens Ziehsohn Morf Pörksen wird ausführlicher behandelt. Aus gutem Grund, wäre er doch bei seiner familiären Ausgangssituation auch für lange Zeit in einem Kinderheim untergekommen, wenn sich „La Lotse“ und dessen Tochter nicht seiner angenommen hätten.
Fazit: trotz aller Spannung keine leichte Kost, aber ausgesprochen lesenswert
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