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Elmar Traks

Elmar Traks

Karnick, Julia – Man sieht sich (2025)

Roman

 

Die Geschichte von Friederika und Robert beginnt im Jahr 1988, als beide 16 Jahre alt sind.

Auf der Suche nach seinem Klassenraum steht Robert an seinem ersten Schultag auf dem Gymnasium im Gang, als Friederika vorbeikommt und ihm hilft sich zu orientieren. Sie verabschieden sich mit: „Man sieht sich.“

Er ist schüchtern, findet schwer Kontakt zu seinen Mitschülern, muss oft an Friederika denken, wagt aber nicht, sie anzusprechen, denn wenn sie mit anderen an ihm vorbeigeht, scheint sie ihn gar nicht wahrzunehmen.

Erst nach den Herbstferien reden sie kurz miteinander, und mit der Zeit wer-den sie einander zu besten Freunden, die über alles sprechen können. Mehr noch: Robert hat sich in Friederika verliebt, traut sich aber nicht, es zu zeigen.

Beide leiden unter ihren häuslichen Verhältnissen: Roberts Mutter ist krank und alkoholabhängig, Friederikas Vater ein autoritärer Patriarch. Sie will, so-bald sie volljährig ist, ihre Freiheit genießen und nennt sich fortan Frie.

 

Deshalb zieht sie nach dem Abitur als Au-pair nach Sydney, wo sie einige mehr oder weniger flüchtige Beziehungen eingeht.

Robert arbeitet zunächst als Zivildienstleistender in Hamburg, wo er auch einen Generalmajor a.D. betreut, der für seine Weiterentwicklung eine ent-scheidende Bedeutung spielt. Mit 23 Jahren zieht er zum Musikstudium nach Dresden, hat mehrere Beziehungen, doch er merkt: Sein Herz gehört immer noch Frie.

 

Diese studiert nach ihrer Rückkehr aus Australien in Hamburg Jura, lernt Tony kennen, wird ungeplant schwanger und bekommt mit 27 Jahren ihre Tochter Emma. Die Beziehung des Paares hält den Belastungen ohnehin kaum stand, und als Tony nicht bereit ist, seine Karrierewünsche zurückzustellen, trennt es sich schließlich.

 

2002: Durch Zufall begegnen sich Frie und Robert wieder und treffen sich häufiger. Doch obwohl sich sofort wieder die alte Verbundenheit einstellt, ist ihre Beziehung kompliziert – auch, weil für Frie ihre kleine Tochter stets an erster Stelle kommt.

 

Es vergehen 30 Jahre: Frie und Robert sind inzwischen 50 Jahre alt und nach ihren letzten längeren Beziehungen wieder Single. Robert hat es zu einigem Wohlstand gebracht und ist als Musiker sehr erfolgreich.

Frie arbeitet als Büroleiterin in einer Anwaltskanzlei, ihre Tochter Emma stu-diert im 5. Semester Physik.

Auf einem Klassentreffen sehen sie sich wieder und fühlen sich auch diesmal sofort wieder zueinander hingezogen. Frie besucht Robert in seinem Zuhause in Bozen und beide wissen: Dieser Besuch wird in Bezug auf ihre Beziehung die endgültige Entscheidung bringen: Wenn sie es jetzt nicht schaffen, ein Paar zu werden, dann werden sie sich nie wiedersehen.

 

Resümee: Dieser ebenso bewegende wie fesselnde Roman erzählt das Leben von Friederika / Frie und Robert über 3 Lebensabschnitte: Jugend, Erwachsensein, reifes Alter.

Beide treffen sich als Teenager zum ersten Mal, als der schüchterne Robert neu auf Fries Schule kommt. Er verliebt sich in das aufgeweckte Mädchen, doch ihr Verhältnis geht über eine tiefe Freundschaft nicht hinaus.

Als sie sich als Erwachsene wiederbegegnen, ist die alte Vertrautheit sofort wieder da – aber auch die Zweifel und Vorbehalte, was das Gelingen einer Liebesbeziehung anbelangt. Deshalb geben sie sich auch in dieser Lebens-phase keine Chance, es als Paar zu versuchen.

Erst im reifen Alter – mit 50 – finden sie in einem schwierigen Prozess zu-einander.

 

Es geht zwar auch stets um die Frage, ob und ggf. wann beide bereit sind, sich auf eine Paar-Beziehung miteinander einzulassen.

Der entscheidende Aspekt sind aber in Verbindung mit ihren jeweiligen be-ruflichen und privaten Plänen auch die unvorhergesehenen Entwicklungen

auf ihrem Lebensweg, die sie einerseits immer wieder voneinander trennen, andererseits dann aber erneut wie ein Magnet anziehen.

Dabei schwingt stets auch die Frage mit, ob beide bereit sind, für ein gemein-sames Leben Kompromisse einzugehen. Welche subjektiv empfundenen und realen Notwendigkeiten verhindern dies? Hätte es bei Friederika und Robert einen richtigen Moment gegeben, um unter ihr altes Leben einen Schluss-strich zu ziehen und den Weg gemeinsam zu gehen?

 

Beider Geschichten werden abwechselnd chronologisch erzählt – ohne jedes Pathos oder gar Schwülstigkeit, dabei aber immer sensibel, gelegentlich mit einer guten Prise Humor, manchmal mit einem bitter-süßen Beigeschmack.

Der Leser lernt dabei kontinuierlich immer besser Fries und Roberts innere und äußere Welt kennen, kann ihre Entscheidungen nachvollziehen und re-flektieren.

Er erfährt auch, wie sich durch Veränderung der Lebensumstände Prioritäten verschieben, bestimmte Dinge ein anderes Gewicht bekommen … bis - um

es salopp auszudrücken - im Alter für beide endlich alles passt.

 

„Man sieht sich“ durchzieht wie ein roter Faden die Handlung. Bei ihrer ersten Begegnung mit 16 Jahren im Flur der Schule eine lockere Floskel, gewinnt der Satz im Laufe der Jahrzehnte bei ihren Abschieden immer mehr an Be-deutsamkeit. Denn der Wunsch, sich nicht aus den Augen zu verlieren, wird immer intensiver, sodass der Gruß, obwohl unverbindlich, doch immer stärker die Hoffnung auf ein Wiedersehen ausdrückt und damit auf eine neue Chance.

 

Fazit: Dieser Roman ist so komplex, es steckt auch so viel Lebensweisheit

   in ihm, dass ich ihn sicher noch ein zweites Mal lesen werde.

 

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