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Elmar Traks

Elmar Traks

Schöttke, Henning - Acedias Traum (2013)

Roman

 

Acedias Traum ist es, eine erfolgreiche Journalistin zu werden und in New York Karriere zu machen. Ihrem ehrgeizigen Ziel ordnet sie alles andere unter: Sie arbeitet unter Missachtung von Warnsignalen bis an den Rand der Erschöpfung, glaubt keine Zeit für Schlaf zu haben und wehrt sich gegen die Müdigkeit. Dabei vernachlässigt sie nicht nur sich selbst, sondern auch Freunde und Familie. Doch dann passiert das Unglaubliche, ...

... denn nicht sie, sondern Petra, ihre beste Freundin aus Kindertagen, be-kommt, was Acedia sich sehnlichst gewünscht, wofür sie so hart gearbeitet hat: Wenige Tage vor dem Anschlag aufs New Yorker World Trade Center tritt sie dort eine Stelle in einer renommierten Anwaltskanzlei an.

Acedia kann sich nicht so recht für Petra freuen und tut alles, um doch noch Karriere zu machen; Mann und Kinder rangieren dabei immer nur an zweiter Stelle.

 

Unmittelbar vor der Verwirklichung ihres Traumes wirft sie jedoch ein langer Krankenhaus-Aufenthalt mit anschließender Regenerationsphase aus der Bahn und bringt die Wende. Denn sie hinterfragt sich und ihr Tun, überlegt, wer sie eigentlich ist. Dabei erwacht sie langsam und kehrt nach und nach ins Leben zurück - in ein neues, das sie genießen kann und in dem andere Platz haben. Doch es ist ein langer Weg, bis sie ohne Krücken selbstständig gehen kann.

 

Resümee: Nach "Gulas Menü" (2011, Rezension vom 4. Jan. 2016) ist dies

   das zweite Werk des Autors aus seiner Todsünden-Reihe.

 

"Acedia" steht dabei für "Trägheit des Herzens", auch für "Gleichgültigkeit, Erschöpfung, Ignoranz, Faulheit".

 

Dies sind alles Eigenschaften, die auf die Titelfigur zutreffen:

Acedia ist gleichgültig gegenüber sich und ihren Bedürfnissen. Sie arbeitet bis zur Erschöpfung und wehrt sich, nachdem ihr Vater im Bett gestorben ist, gegen die Müdigkeit. Seit ihre Mutter der kleinen Acedia damals die traurige Nachricht mit den Worten überbrachte, der Vater sei "eingeschlafen", ver-bindet sie nämlich Schlaf mit Tod. Doch dann wird ihr gerade die Über-müdung, das Nicht-Schlafen eines Tages zum Verhängnis und leitet die Wende ein.

 

Aber auch gegenüber anderen ist die junge Frau, die nur an ihren beruf-lichen Aufstieg denkt, ignorant, es mangelt ihr an Empathie, an Herzens-wärme.

So misst sie typischerweise meist mit zweierlei Maß, wenn sie von anderen Verständnis und Unterstützung erwartet, die sie in vergleichbaren Situati-onen ihrerseits aber nicht ansatzweise zu leisten bereit ist.

 

Wenn sie sich im Rahmen einer Semesterarbeit fragt, wie es angehen könne, dass Menschen ihrer Karriere alles andere unterordnen und ob es denn keine Warnsignale gebe, so leugnet sie damit komplett ihre eigene Situation.

 

Der Philosoph Josef Pieper interpretiert in seinem Werk "Muße und Kult"

die Todsünde "Acedia" "dass 'der Mensch sich dem Anspruch versage, der seiner eigenen Würde gegeben ist [...], daß der Mensch seinem eigenen Sein letztlich nicht zustimmt.' " (Wikipedia)

Und auch Acedia hinterfragt ihr Sein und ihr Tun erst im Krankenhaus kritisch, wenn sie überlegt, wer sie eigentlich ist.

 

Schlaf steht in diesem Buch als Symbol für das Leben, und Henning Schöttke thematisiert anhand von Acedias Lebenslauf sinnbildlich ver-schiedene Formen, wie z.B. Tiefschlaf, REM-Schlaf, Koma und Erwachen. 

Dabei steigt er im Jahr 1984 ein, als Acedia 17 Jahre alt ist, etwa im glei-chen Alter wie die Protagonistinnen Gula und Luxuria aus den Bänden 1

und 3. Wir begleiten Acedia bis übers Jahr 2003 hinaus auf ihrem Weg,

der gleichzeitig eine Zeitreise ist, da der Autor in das Geschehen politische Ereignisse eingebunden hat.

 

Fazit: genau wie "Gulas Menü" und "Luxurias" Glück ein sehr lesenswertes,

   nachdenklich stimmendes Buch - für mich persönlich bislang das

   allerbeste aus der Todsünden-Reihe.

 

Auch für den 3. Band - "Luxurias Glück" (2015) - liegt bereits eine Rezension mit Datum vom 24. Okt. 2015 vor.

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Henning Schöttke (Mittwoch, 20 Januar 2016 20:19)

    Liebe Annette,
    was für tolle Besprechungen meiner Romane. Vor Kurzem "Gulas Menü" und nun "Acedias Traum".
    Ich versuche all meine Anspielungen und Symbole immer möglichst subtil einzusetzen, und so frage ich mich manchmal, ob sie überhaupt wahrgenommen werden. Um so mehr freue ich mich, sie in deiner Rezension wiederzufinden.
    Du hast die Ironie bemerkt, als sich Acedia beim Nachdenken über Barschel fragt, warum ihn keine Signale warnten, als sein Karrierestreben ihn mehr und mehr auf den Abgrund zusteuerte, und selbst ein einzelnes kleines Verb, wie "eingeschlafen", ist deiner Aufmerksamkeit nicht entgangen.
    Eine schön Besprechung mit Aussagekraft.
    Nochmal vielen lieben Dank,
    Henning