Wie schon unter „Wissenswertes“ im Kapitel „Vom Wesen der Spanier“ geschrieben, sind diese im Allgemeinen kontaktfreudig und aufgeschlossen – allerdings meist nur in einem von ihnen klar abgesteckten Rahmen. Das möchte ich näher ausführen, allerdings vorausschicken, dass das geschil- derte Verhalten sich ausschließlich auf unser kleines Dorf samt ländlicher Umgebung bezieht - ein Umfeld also, in dem die einheimischen Spanier
sich (fast) alle kennen und meist rege Anteil aneinander nehmen.
Es ist normalerweise auch für „Zugereiste“ gar kein Problem, mit Spaniern, gleich welchen Geschlechts oder Alters, zumindest eine kurze private Unterhaltung zu führen. Zielgerichtete Einwürfe sind beim Einkauf oder in der Warteschlange bei Behörden sowieso gang und gäbe (siehe „Einkaufen im Pueblo“ unter „Alltags-Impressionen“). Aber auch sonst richten sie das Wort gerne von sich aus an einen, plaudern über Gott, die Welt und die Familie – solange die Begegnung irgendwo stattfindet, wo sie nicht in Be- gleitung von Landsleuten sind oder von ihnen beobachtet werden könnten. Das ist meist im Campo der Fall oder im Rahmen zweckgebundener Treffen, bei denen die Konversation entweder in den Räumen eines Unternehmens oder bei Besichtigungen vor Ort stattfindet. In der Regel bekommt der ur- sprünglich formale Anlass durch die Ergänzung von Smalltalk eine persön- liche Note.
Wie anders jedoch, wenn man dem Privatmenschen oder Dienstleister zufällig „unter Leuten“ im Dorf begegnet. Jetzt scheint der vorher so aufgeschlossene Andalusier vielfach unter Amnesie, oft verbunden mit einer manifestierten Nackenstarre zu leiden. Auch wiederholtes Grüßen, Rufen, Winken zeigen keinen therapeutischen Erfolg: Er scheint sich einfach nicht mehr an einen zu erinnern; man ist schlichtweg Luft für ihn.
Dabei gibt es durchaus unterschiedliche Spielarten,
wie ein paar Beispiele zeigen werden:
Die leitende Angestellte der Immobilienfirma, über die wir seinerzeit unsere Finca gekauft hatten, begrüßte uns vom ersten Treffen an immer wie alte Bekannte: strahlendes Lächeln, Küsschen hier, Küss- chen da, Fragen nach den Lebensumständen, der Familie …
Mit zunehmendem Kontakt – er setzte sich über ein paar Jahre fort, da wir auch andere Dienstleistungen der Firma in Anspruch nahmen - wurden die Begegnungen noch herzlicher, die Gespräche noch privater. Sie fanden allerdings ausschließlich in den Büroräumen der Firma statt.
Wie ungläubig waren Elmar und ich daher, als wir einmal abends in einem Restaurant aßen, die Angestellte sich mit einer kleinen Gruppe spanischer Freunde an den Nebentisch setzte … und uns konsequent und erkennbar bemüht keines Blickes würdigte. Es half kein „ Hola, X.“, kein hypnotisches Anstarren, nichts – wir existierten in der Situation für sie einfach nicht.
Tage später betraten wir ihr Büro, wo sie uns wie gewohnt wie „ziemlich
beste Freunde“ empfing.
Nachdem sich diese „Wechselduschen“ mehrere Male wiederholt hatten, stellten wir - unserer guten Kinderstube zum Trotz - unser eigenes Verhalten darauf ein und machten fortan auch keine Anstalten mehr, sie außerhalb des offiziellen Rahmens zu grüßen. Das tut jedoch ihrer Herzlichkeit bei dienst- lichen Kontakten nicht den geringsten Abbruch.
Kürzlich hatten wir mit der „directora“ unserer hiesigen Bankfiliale
ein längeres Gespräch in ihrem Büro. Da wir sie schon etliche Jahre kennen, fielen einleitend und abschließend beiderseits auch ein paar private Sätze. Elmar und ich wollten anschließend in einem Straßencafé noch etwas trinken, sie verließ kurz nach uns ebenfalls das Haus … wir sahen sie lächelnd an, sie erblickte uns, drehte aber den Kopf weg und ging mit hoch erhobenem Haupt 2 Meter an uns vorbei. Man ahnt es schon: Bei meinem nächsten Besuch in der Bank begrüßte sie mich in gewohnt freundschaftlicher Manier.
Ähnlich verhält es sich mit den Inhabern und Verkäuferinnen eines örtlichen Supermarktes:
Innerhalb des Geschäfts fragen sie einen dies und das, stellen die eigene Familie vor, erzählen von Freud und Leid mit ihren Kindern usw. Außerhalb des Ladens aber wird man von ihnen ignoriert.
Weil sie ab und zu ihren Mann begleitet, lernten wir auch die Frau eines Bauunternehmers etwas näher kennen – eine sehr leben- dige, aufgeschlossene und kontaktfreudige Person. Auf unserem Grundstück oder im Campo stehe vor allem ich gelegentlich mit ihr zusam- men; wir unterhalten uns dann über alles Mögliche. Treffe ich sie aber z.B. auf dem Wochenmarkt oder befindet sie sich in Begleitung spanischer Freundinnen, geht sie selbst auf einem schmalen Fußweg blick- und gruß-
los an mir vorbei.
Ein weiteres krasses Beispiel lieferte unser Nachbar, der Olivenbauer:
Seit wir die Finca haben, kam er bis vor kurzem jedes Jahr während der Ernte wie selbstverständlich von hinten auf unser Grundstück, inspizierte es gründlich und ließ sich zwecks Pausen unaufgefordert auf unserer Ter- rasse nieder. Dabei nötigte er mich regelrecht, mich zu ihm zu gesellen und textete mich vor allem mit seinen zum Teil recht abstrusen Ansichten zu den reichen Residenten sowie zur Wirtschafts- und Gesundheits-Politik unserer beider Heimatländer regelrecht zu. Elmar bekam Anweisung, was er auf un- serem Grundstück zu ändern habe. Hatte der Olivero den – generell rich-tigen – Eindruck, dass seine Anordnungen bei uns nicht auf fruchtbaren Boden fielen, griff er auch gerne schon mal selbst zum Werkzeug. Ruck- zuck, bevor wir es richtig mitbekamen, war dann z.B. eine Palme einiger
ihrer Wedel beraubt, damit er bequemer von seinem auf unser (das besitz- anzeigende Fürwort schließt ihn nach seiner Auslegung mit ein) Grundstück gelangen konnte. Einmal glaubten wir unseren Augen und Ohren nicht zu trauen, als er einen Marokkaner mitbrachte, ihn mit unserem draußen lie- genden Werkzeug versorgte und zu Arbeiten auf unserem Grund anwies - gegen Bezahlung durch uns versteht sich. Da wurde dann sogar Elmar
etwas lauter.
So weit, so nervig:
Traf ich ihn aber in Cómpeta, schritt er grundsätzlich starren Halses direkt an mir vorbei, intensiv den Straßenbelag oder Horizont inspizierend. Auf meinen Gruß oder eine direkte Ansprache reagierte er mit keinem Wimpernzucken, sondern ging stur weiter. - Einmal dann wartete er zusammen mit anderen Spaniern vor der Rathaustür. Ich ging, da ich hinein wollte, direkt auf die kleine Gruppe zu, blickte unserem Nachbarn ins Gesicht und grüßte ihn
mit Namen laut und vernehmlich – alle schauten mich erwartungsvoll an,
er schaute durch mich hindurch. Ungläubig wiederholte ich das Ganze noch einmal – nichts. Als ich dann an der Rezeption stand, wurde er hereinge- rufen, musste unmittelbar neben mir stehen – und ignorierte mich immer noch komplett, selbst als ich ihn wieder direkt anschaute.
Auf dieses Verhalten bei seinem nächsten Aufenthalt hier angesprochen, schaltete er auf das beliebte „no comprendo“ (ich verstehe nicht) und schien gar nicht zu wissen, was ich wollte, wovon ich überhaupt sprach.
Ein örtlicher Taxifahrer besitzt schräg gegenüber von uns eine Wo-chenend-Finca. Ist er hier, unterhält er sich mit uns, ist ausgespro-chen aufgeschlossen, schenkt uns Ableger seiner Pflanzen; mit dem Auto bremst er sogar für einen kurzen Plausch – alles ganz nachbarschaft-lich normal.
Kaum aber begegnet man ihm im Ort, hat er einen „Totalausfall“ - er sieht einen nicht, geht oder fährt starren, konzentrierten Blickes grußlos an einem vorbei.
Ganz anders wieder, wenn er ausländische Feriengäste in seiner Taxe be- fördert: Da winkt er uns ausgesprochen fröhlich im Vorbeifahren zu. Will er mit dem schützenden Blech um sich herum seinen Insassen demonstrieren, wie beliebt er auch bei Nicht-Spaniern ist? Bei spanischen Kunden unter-bleibt diese Geste nämlich.
Sehen wir ihn am Taxi-Stand im Dorfzentrum, dann kommt es darauf an, in welcher Situation er sich gerade befindet: Sitzt er wartend im Auto, hebt er minimalistisch die Hand zum Gruß und deutet ein Nicken an; außerhalb der Taxe – also gut sichtbar für andere – kennt er einen nicht.
Ein paar Stunden später im Campo ist er dann wieder die Herzlichkeit in Person.
Den Vogel hat jedoch gerade letzte Woche die Frau des hiesigen Autowerkstatt-Inhabers abgeschossen, die das Büro managt:
Als wir vor 17 Jahren unsere Finca kauften, waren sie die einzigen in der Gegend, die auch einen Autoverleih anboten, von dem wir 3 Jahre lang regelmäßig in den Schulferien Gebrauch machten, d.h. mindestens viermal pro Jahr. Man kannte sich also für spanische Verhältnisse recht gut, bei den Buchungen via E-Mail und der Wagen-Übergabe ging es informell-herzlich zu. Kontakte in der Öffentlichkeit wurden zwar in diesem Fall nicht komplett blockiert, wirkten aber von ihrer Seite sehr krampfhaft und beschränkten
sich auf 2 – 3 kurze Sätze.
Seit 1999 haben wir unseren eigenen PKW hier, nutzen den Service der hiesigen Werkstatt also nicht mehr. Seitdem war ich für die Frau – ihren Mann sah ich eh kaum – offenbar eine völlig fremde Person: Wir konnten
an der Supermarkttheke oder -kasse neben- bzw. hintereinander stehen oder uns im Ort begegnen – ich war ganz offenbar eine völlig Unbekannte
für sie … 14 Jahre lang – bis neulich: Da hatte ich Info-Bedarf und ging durch die Werkstatt geradeswegs zu ihrem Bürofenster. Bevor ich noch etwas sagen konnte, sprang sie auf, offenbar hocherfreut mich zu sehen, und begrüßte mich mit einem außerordentlich herzlichen: „¡Hola, Annette! ¿Qué tal?“ („Hallo, Annette! Wie geht’s?“). Vor lauter Verblüffung, dass ich wie eine alte Bekannte empfangen wurde - und das nach fast 1 1/2 Jahr-zehnten des kompletten Ignorierens auch noch namentlich - fiel mir erst einmal die Kinnlade herunter.
...
Diese Liste ließe sich beliebig lang fortsetzen, nicht verschwiegen werden soll aber, dass es gelegentlich auch sehr positive Beispiele gibt:
Spanier/-innen, die ich kaum kenne, mit denen ich nur kurz mal zu tun hatte, grüßen mich selbst nach längerer Zeit von sich aus auf der Straße, auf dem Markt etc. Einige bleiben sogar stehen, um sich ein wenig zu unterhalten. Angesichts der vielen negativen Erlebnisse, freut mich das dann natürlich umso mehr.
Warum sich aber die Mehrheit der Spanier/-innen hier bei uns so wider- sprüchlich verhält, warum sie einerseits ausgesprochen herzlich erscheinen, andererseits aber von ihren Landsleuten offenbar auf keinen Fall im privaten Gespräch (dazu gehört dann wohl auch schon ein Gruß) mit Ausländern gesehen werden wollen, dahinter sind wir noch nicht gekommen. Wir können es nur als Tatsache akzeptieren und unsere Erwartungshaltung danach ausrichten – es kommt uns einfach spanisch vor!
© Annette Traks