Hier an der Costa del Sol treffen wir viele Menschen, die wie wir ihrem Heimatland den Rücken gekehrt haben und ausgewandert sind. Oft handelt es sich dabei allerdings nicht um (Beinahe-) Pensionäre, die dieses Fleckchen
Erde als Altersruhesitz gewählt haben, sondern um Erwerbstätige, die von ihren beruflichen und zum Teil auch privaten Lebensumständen frustriert sind und für sich (und ihre Familie) zu Hause keine befriedigende Zukunftsperspektive sehen.
Eine als Urlaubsregion bekannte Gegend, wo die Sonne angeblich 360 Tage im Jahr scheint (stimmt nicht!!!) und von der man zu wissen glaubt, dass über Mittag 3 Stunden lang der Siesta gefrönt wird und sowieso eine laxe Mañana-Mentalität herrscht (es lebe das Vorurteil!!!) erscheint vielen da wie das Paradies. Daran möchte man auch teilhaben und sich gleichzeitig eine einträgliche berufliche Existenz aufbauen. Das heißt „aufbauen“ stimmt vielfach nicht, denn das würde ja bedeuten, von unten anzufangen, sich zu- nächst eine solide Grundlage, ein tragfähiges Fundament zu schaffen, auf dem sukzessive ein stabiles Unternehmen errichtet werden kann.
Nein, die Motivation vieler Auswanderer wird von dem Wunsch getragen, möglichst zeitnah einen relativ hohen Lebensstandard zu erlangen und gleichzeitig mehr Freizeit zu haben, um die angenehmen Seiten des Lebens an der Sonnenküste genießen zu können.
Das hieße in der Konsequenz: Weniger Arbeit bei höherem Einkommen als im Heimatland.
Bei genauerer Überlegung scheint dies an sich schon schwer realisierbar, also eher die Ausnahme zu sein. Sollte es ausgerechnet im einem Land gelingen, das man bestenfalls vom Urlaub kennt, dessen Kultur, Men- talität, Gesetzgebung, Sprache dem Auswanderer oft nur ansatzweise – wenn überhaupt! - geläufig sind?!
Ist das nicht pure Traumtänzerei? Meist ja! Vor allem in Spanien, wo eine Arbeitslosenquote von durchschnittlich 25 % herrscht – bei Jugendlichen lag sie im Februar 2013 sogar bei gut 55 % (Quelle: de.statista.com).
Zunächst aber exemplarisch zwei positive Beispiele aus unserem näheren Umfeld:
Die Miteigentümerin einer gut etablierten deutschen Autowerkstatt meinte, Auswanderer-Serien schaue sie sich gar nicht mehr an, weil sie sich regel- mäßig über die grenzenlose Blauäugigkeit jener Emigranten aufrege, die meinen, man würde hier in Spanien nur mit Arbeit und Geld auf sie warten. Die Einstellung einiger ihrer deutschen Angestellten, die gekommen sind,
um „ein bisschen zu arbeiten“, aber ansonsten lieber chillen wollen, reiche ihr. Das Arbeitsverhältnis ist unter diesen Bedingungen dann recht schnell beendet.
Ihre Familie konnte es über viele Jahre nur zu einer relativ gesicherten Existenz bringen, weil sie hart dafür gearbeitet habe. Um neben der ein- heimischen Konkurrenz zu bestehen, müsse man besten Service zu fairen Preisen bieten. Mehr Geld als in Deutschland haben sie nicht, mehr Freizeit schon gar nicht.
Ähnliches gilt für das englische Ehepaar, das in unserem Ort einen Zeit- schriften- und Papierwarenladen betreibt. Die beiden haben klein ange- fangen und nicht nur ihr Sortiment peu à peu erweitert, sondern auch ihre Dienstleistungen: Mittlerweile bieten sie z.B. auch einen Postservice incl. Postfächern und Paketannahme an, verkaufen Second-Hand-Bücher, be- treuen Häuser während der Abwesenheit der Eigentümer und vermieten
bei Bedarf z.B. Kindersitze und -betten, Rollstühle u.v.m. an Urlauber. Für Anregungen sind beide stets dankbar. „Freizeit“ wird auch hier klein ge- schrieben; an Sonn- und Feiertagen
ist der Laden meist zumindest vor- mittags geöffnet.
Beide Fälle zeigen, dass für die Gründung – und Aufrechterhaltung!! - einer Existenz in Spanien ein ungeheurer Arbeitseinsatz und vor allem auch ein positives Dienstleistungsverständnis erforderlich sind. Auswanderer's Wunsch nach mehr Freizeit und Geld bei weniger Arbeit bleibt dabei allerdings oft ein schöner Traum.
Einige zugereiste Ausländer stoßen mit der Gründung eines Betriebes oder der Eröffnung eines Geschäftes zugegebe- nermaßen auf echte Marktlücken. Der schnelle Erfolg ist dadurch anfangs meist garantiert.
Kritisch wird es, wenn einige Newcomer sich dann „zurück- lehnen“ und meinen, sie könnten es nun gemächlicher angehen lassen, da sie einen sicheren Kundenstamm hätten und sich ihr – allerdings immer gleiches - Angebot herumgesprochen habe. Bei der starken Bevölkerungs- fluktuation hier und dem „Sprießen“ immer neuer Betriebe ist das ein fataler Irrtum. Häufig sieht man schon nach relativ kurzer Zeit an den betreffenden Büros, Läden, Werkstätten wieder das Schild „se alquila“ (zu vermieten).
Viele allerdings realisieren mehr oder weniger rasch, dass ein gut gehendes Geschäft auf Dauer viel Einsatz erfordert, die freie Zeit knapp bemessen und das Einkommen nicht eben üppig ist. Für „Urlaubsfeeling“ ist da nicht viel Platz. Mit anderen Worten: Die Auswanderung hat nicht zum gewünschten Ziel geführt – so stressig hatte man sich das Leben unter südlicher Sonne nicht vorgestellt. Eine Folge dieser enttäuschten Erwartungshaltung ist na- türlich Unzufriedenheit, die der Kunde oft in Form von Unfreundlichkeit und Dienstleistungs-Einschränkungen zu spüren bekommt.
Konsequenz: Ein Teil der Klientel bleibt weg, das Geld wird noch knapper, der Betrieb schließlich geschlossen. Kurioserweise versuchen einige Selbst- ständige, diesen Schritt zunächst aufzufangen, indem sie die Preise erhöhen – was aber letztlich die Abwärtsspirale nur beschleunigt.
In eine ähnliche Richtung geht die folgende Taktik: Manch zugereister Selbstständiger setzt zu Recht darauf, dass seine Landsleute es vorziehen, sich bei entsprechendem Bedarf an ihn zu wenden. Sie können dann ihr Anliegen sprachlich adäquat vorbringen und fühlen sich insgesamt bei des- sen Realisierung sicherer. Dies nutzen viele Anbieter jedoch aus, indem sie ihre Dienste zu stark überteuerten Kosten anbieten. Da der Kunde bei der heutigen Wirtschaftslage aber auf ein angemessenes Preis-Leistungs-Verhältnis achtet, sollten bei derart überhöhten Preisen wenigstens auch Qualität und Dienstleistungsverständnis überragend sein. Besonders an letzterem hapert es jedoch allzu oft – schließlich ist man ja ausgewandert, weil man mehr Freizeit und Geld, aber weniger Arbeit haben wollte. Bei dieser Einstellung kann die Firma oder der Ein-Mann-Betrieb bald sein Gewerbe abmelden; es mangelt nämlich nicht an fähiger und kosten- günstiger einheimischer Konkurrenz.
„Gerne“ denken wir in diesem Zusammenhang an die Installation unserer Klima-Anlage zurück: Auf Grund baulicher Gegebenheit war das kein ganz einfaches Unterfangen, daher sollte lieber Elmar die Konversation führen, am besten auf Deutsch oder Englisch. Entsprechende Anbieter waren schnell gefunden. Aber von schon kriminell überteuertem Kostenvoranschlag, stark begrenztem Angebot, mangelnder Qualifikation, Besichtigung vor Ort mit Gattin, bei der Small-Talk im Vordergrund stand, war alles dabei. Ergebnis: Ein spanischer „Especialista“ bekam den Zu- schlag. Die Zusammenarbeit mit ihm war zwar auch nicht so ganz kom- plikations- und stressfrei – aber das ist ein anderes Kapitel.
Oder der Bau einer Naturstein-Mauer, die von einem Engländer wohl- tönend in diversen Annoncen angepriesen wurde – exzellente Arbeit, zu fairen Preisen mit vielen Referenzen. Der Ortstermin auf unserer Finca
sah zeitlich so aus: 10 Minuten Geländebegehung und Projektbesprechung, 20 Minuten Plausch über das angenehme Leben in Andalusien. Nachdem
wir vom Meister nicht den avisierten Kostenvoranschlag bekamen, hakten
wir nach einer gewissen Karenzzeit – man ist ja in Spanien! – nach und bekamen nach etlichem Sich-Winden eine Aussage, die man nur so interpretieren konnte: Der Job war zu schwierig (????), zu anstrengend (????) und daher nicht attraktiv genug. Kurz: Ein leichter, schneller und dabei lukrativer Job war gefragt.
Es gibt auch zahlreiche Auswanderer, die darauf setzen, eine Arbeit im Ange-stelltenverhältnis zu ergattern. Bei der oben genannten Arbeitslosenquote wäre das allerdings wie ein Sechser im Lotto – denn wenn Arbeitsplätze frei werden, besetzt sie der Arbeitgeber meist mit Spaniern (Familie bevorzugt).
Schnell muss der Auswanderer feststellen, dass das Etikett „deutsche Wert-arbeit“ nicht die erhoffte Eintrittskarte in die Arbeitswelt seiner Berufsbranche liefert. Er bietet dann vielfach an, „jeden Job“ anzunehmen und weitet so seinen Bewerbungsradius bei Firmen, vor allem aber auch per Inserat auf Privatpersonen aus. Manchmal kann er sich auf diese Weise mit Gelegen-heitsarbeiten eine Weile über Wasser halten, aber über kurz oder lang stellt sich die Frage, wo er arbeitslos sein möchte: In Spanien, im Heimatland oder ganz woanders.
Fazit: Eine neue berufliche Existenz aufzubauen, ist generell schon schwer und erfordert viel Einsatz – erst recht im Ausland. Es gibt sicher viele gute Gründe dafür, dort ein neues Leben zu beginnen – die schlechteste Moti- vation ist jedoch der Wunsch nach mehr Freizeit bei weniger Arbeit und mehr Geld.
© Annette Traks